Von außen betrachtet ist das ADC Festival eine perfekt inszenierte Kreativbühne: volle Hallen, schillernde Awards, Panels im Minutentakt. Doch wer genau hinsieht – und zuhört – erkennt: Hinter der gewohnten Festivalfassade ringen Club und Branche spürbar um neue Relevanz. Das Motto »Leave Egos behind – Change the World with Creativity« war kein bloßes Buzzword, sondern durchaus als Appell gemeint – an Gestalter:innen, Agenturen und Unternehmen gleichermaßen. Der Austragungsort, der Hamburger Schuppen 52, bildete mit seiner rauen Hafenkante die passende Kulisse für eine Branche, die sich neu sortieren muss: zwischen technologischer Beschleunigung, gesellschaftlicher Verantwortung und der eigenen kreativen Identität.

Weniger Preise, mehr Präzision
Besonders deutlich wurde dieser Anspruch im Wettbewerb: Die Jurys vergaben rund 24 Prozent weniger Nägel als im Vorjahr – eine ungewöhnlich starke Korrektur. Die Begründung: mehr Strenge, mehr Qualitätsbewusstsein, mehr Verantwortung. ADC-Präsidiumssprecher Burkhard Müller betonte, dass exzellentes Handwerk in Zeiten generativer Mittel umso wichtiger sei. Es zähle nicht nur die Idee, sondern deren präzise, glaubwürdige und mit Haltung ausgestaltete Umsetzung.
Das klingt zunächst nach einer altbekannten Binse. Doch die diesjährigen Grand Prix zeigen, dass genau das der neue Maßstab ist: Haltung ist kein Beiwerk mehr, sondern Grundvoraussetzung – sowohl gestalterisch als auch kommunikativ.


Gestaltung mit Rückgrat
Beispiele? Die »Penny Price Packs« von Serviceplan sind nicht nur verkaufsfördernde Sonderverpackungen, sondern ein radikaler Kommentar zur sozialen Wirklichkeit – direkt im Regal, direkt im Alltag. Oder die Schriftfamilie »FC Sans Pauli« von Karl Anders, die dem FC St. Pauli ein eigenes typografisches Rückgrat verpasst – visuell wie ideologisch. Und »Am I?« von Elastique. stellt die KI-Frage nicht als Toolfrage, sondern als ästhetisches Szenario – mit einer poetischen Roboterinstallation, die das Publikum weder belehrt noch beunruhigt, sondern zum Nachdenken bringt. Was diese Projekte eint: Sie vertrauen auf Gestaltung als kulturelle Praxis. Und sie zeigen, dass Design nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern Träger von Haltung, Kontext und Verantwortung.


Grand Prix für »The First Speech« und »Solomiya Magazine – No.3«
Zwei der prägnantesten Grand Prix des ADC 2025 vereinen politische Relevanz mit gestalterischer Konsequenz. »The First Speech« von INNOCEAN Berlin für Reporter ohne Grenzen basiert auf den ersten offiziellen Antrittsreden autoritärer Führer – Putin, Maduro und Erdogan. Diese ursprünglichen Versprechen werden kontrastiert mit Bildern hoffnungsvoller Bürger:innen – und entlarven so per Reduktion und Brillanz den schmerzlichen Bruch zwischen Worten und Realität. Die Bildsprache, geprägt durch analoges Kinofeeling, kommt ohne Showeffekte aus – und entfaltet still, aber eindrücklich, die Stärke des dokumentarischen Kinos.


Das »Solomiya Magazine – No. 3« gestaltet von Kollektiv Scrollan wiederum erzählt von Ukraine im Krieg – roh, emotional, gleichwohl grafisch hochwertig gearbeitet. Als gedrucktes Zeitdokument überzeugt es durch eine visuelle Grammatik, die Zerrissenheit, Hoffnung und Verzweiflung gleichermaßen abbildet. Ohne plakative Symbolik schafft das Magazin Nähe – und verankert Design als Erfahrungsmedien, nicht als bloße Informationsvermittlung. Es ist ein Beispiel dafür, wie Editorial Design kritische Narrative bedienen kann, indem es Gestaltung und Inhalt so eng koppelt, dass das Magazin selbst zum Träger von Solidarität wird.

KI: Showcase oder Substanz?
Dass die KI-Debatte nicht am ADC vorbeigeht, war zu erwarten. Auf der Conference Stage lieferten unter anderem Nicolas Neubert (Runway) und Mieke Haase mit ihrer AI-Künstlerin KOI anschauliche Cases. KI ist hier längst mehr als Produktionsmittel – sie wird zum Kooperationspartner, zur stilprägenden Kraft. Doch gerade in einem gestalterisch anspruchsvollen Kontext wie dem ADC stellt sich die Frage: Wie lässt sich Qualität in KI-getriebenen Prozessen überhaupt bewerten?
Es war spürbar, dass viele Jurys sich noch in einer gewissen Abtastphase befinden. Die Unsicherheit, ob KI-Ästhetik nun Innovation oder Effekt ist, durchzog zahlreiche Diskussionen. Ein Umstand, der sich nur durch eine stärkere Auseinandersetzung mit Technologie und gestalterischer Theorie beheben lässt. Hier liegt eine Aufgabe, nicht nur für den ADC, sondern für die gesamte Designausbildung und -kritik.

Zwischen Buzz und Berufsbild
Das Festival bot wie immer ein breites Angebot für die nächste Generation: Speed Recruiting, Mappenchecks, Workshops. Besonders gefragt: Kurse zu KI-Texting, Storytelling und Female Leadership. Auch das ist ein Signal: Die künftige Kreativbranche sucht nach Werkzeugen, aber ebenso nach Werten. Der Beruf des Designers ist heute mehr denn je mit Fragen nach Verantwortung, Sinn und Wirkung konfrontiert. Eine gute Idee allein reicht nicht mehr – es braucht Kontext, Haltung und Resonanz.
So bleibt das ADC Festival 2025 ein Festival im Übergang. Der Wille zur Erneuerung ist deutlich spürbar – ebenso wie der Spagat zwischen Festivalökonomie und inhaltlichem Tiefgang. In einer Branche, die sich selbst immer wieder neu erfinden muss, ist das vielleicht unvermeidlich. Entscheidend ist, ob die kreative Szene diesen Wandel nicht nur benennt, sondern auch mitträgt. Denn wenn der ADC wirklich »die Welt mit Kreativität verändern« will, dann braucht es mehr als Bühnen und Buzz. Es braucht Diskurs, Qualität – und ein Designverständnis, das mehr ist als Packaging.
Bilder: © Kevin Mohr / Paul Feuerboether / Art Directors Club für Deutschland
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Der nächste große Termin beim ADC ist die ADC Design Conference am 20. Oktober in Stuttgart
