Als Fachzeitschrift für Grafikdesign berichten wir dann auch über Kunst, wenn sie – so wie die XXL-Monografie über das Werk Frida Kahlos – im besonders spektakulären Gewand daherkommt. Das äußerst elegante, vortrefflich gestaltete Buch umfasst neben sämtlichen Gemälden auch Fotografisches und Schriftstücke der Künstlerin.
Ein ungewöhnliches Leben in bewegten Zeiten
Frida Kahlos Anfänge als ernsthafte Malerin fallen in eine Zeit, die für die moderne mexikanische Malerei wegweisend war. Aber auch in der Grafik, der Bildhauerei und der Fotografie entstanden viele neue Stilrichtungen.
Zu Kahlos Mythos trug ihr bewegtes Leben bei – vor allem ihre lebenslange Leidensgeschichte. Sie entschied in jungen Jahren, sich der Malerei zu widmen, nachdem sie einen tragischen Busunfalls überlebte. Dessen Folgen zwangen sie, ihren Alltag fortan immer wieder liegend und in einem Ganzkörpergips oder Korsett zu verbringen. Die kreative Betätigung war erst ein Zeitvertreib, nach der Heirat mit Diego Rivera schnellte sie an die Spitze der Kunstszene.
Eine Künstlerin, die Neuland erkundet
Als Autodidaktin, die völlig unbefangen ästhetische Ansätze erkundete, steht Frida Kahlo noch heute für eine große künstlerische Freiheit. Diesen Eindruck prägte sie auch durch ihr Erscheinungsbild: Sie zeigte ihren revolutionären Eifer und Patriotismus durch eine traditionelle Tracht, die Haare stets hochgesteckt und angetan mit Schmuck. Bis heute ist ihr Antlitz legendär, dessen sich auch die Grafikszene nicht erwehren kann, zuletzt schrieben wir über ihre Inspiration für das grafische Erscheinungsbild eines Projekts aus der Schweiz.
Bevor sie in ihrem Heimatland, das sie so verehrte, Bekanntheit erlangte, lobten in den USA und in Europa namhafte Kunstsammler:innen ihr Werk. André Breton nahm die Malerin in den internationalen Kreis der Surrealisten auf und stellte ihre Arbeiten in Paris aus, wo Picasso, Kandinsky und Duchamp sie bewunderten. Erst viel später, als sie schon ans Bett gefesselt war, zeigte man ihre Bilder erstmals in einer Einzelausstellung in ihrer Heimat – eine Anerkennung, die sie sich schon lange gewünscht hatte. Sie starb 1954 an einer Lungenembolie; auch Selbstmord wird nicht ausgeschlossen.
Die Gestaltung des Buchs
»Nichts ist absolut. Alles verändert sich, alles bewegt sich, alles dreht sich, alles fliegt und verschwindet«, ein Zitat, das Frida Kahlo zugeschrieben wird. Glücklicherweise dient die XXL-Monografie auch dazu, möglichst viel von ihrem Werk festzuhalten, dass es eben nicht wegfliegt und fort ist. Autor Luis-Martín Lozano ist versierter Kunsthistoriker, der als Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst Mexikos im Land selbst und Lateinamerika tätig ist, aber auch für viele Institutionen in den Vereinigten Staaten, Europa und Asien. Mit Andrea Kettenmann und Marina Vázquez Ramos unterstützten ihn zwei Kunsthistorikerinnen, deren Fokus auf den Werken Kahlos sowie moderner Kunst aus Mexiko liegt. So konnten auch Frida Kahlos Zeichnungen, Tagebuchseiten und Briefe entsprechend eingeordnet werden.
Das Buch präsentiert Werke aus Privatsammlungen sowie Arbeiten, die bislang als verschollen galten – in brillanten Reproduktionen und im Zusammenspiel mit berühmten Fotografien. Zahlreiche Aufnahmen namhafter Fotokünstler wie Edward Weston, Manuel und Lola Álvarez Bravo, Nickolas Muray und Martin Munkácsi sind in hochwertigster Qualität und in mächtigem Format abgedruckt. Doch nicht nur das macht den Eindruck so nachhaltig – über fünf Kilo schwer liegt das Hardcover wahrlich gewaltig in der Hand, doch das wird dem ikonischen Leben der Künstlerin nur gerecht.
© Banco de Mexico Diego Rivera Frida Kahlo Museums
Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2021
© bpk / IMEC, Fonds MCC / Gisèle Freund
Sinnlich und oft verschlüsselt
Vor allem die zahlreichen Selbstporträts, mit denen Frida Kahlo ein Feuerwerk an Farben und Sinneseindrücken zündete, und von denen sie über 50 anfertigte, faszinieren bis heute. Die heutige Selfiekultur mag davon nur ein flacher Abklatsch sein, ihre Selbstbildnisse sind gleichermaßen sinnlich und gefühlvoll, aber auch verstörend und oft in sich verschlüsselt. Sie notierte sich sogar einen eigenen Farbkanon, die jeweilige Bedeutung der von ihr verwendeten Farbtöne sind in ihrem Tagebuch wiederzufinden.
Die Taschen-Monografie gibt einen authentischen Einblick in die Zerissenheit, aber auch den Lebenswillen der Künstlerin, die mit ihrer Symbolsprache aus einem reichen Fundus schöpft: Sie bedient sich der fernöstlichen Mythologie und aztekischen Schöpfungsmythen, aber natürlich auch dem mexikanischen Brauchtum sowie der europäischen Kunstgeschichte von der sie geprägt war, sowie zeitgenössischen gesellschaftlichen und politischen Einflüssen.
Ein reicher Schatz, der inspiriert zur Reflexion, zur Verwendung von Farbe und zu einem Leben, das zutiefst der Kreativität gewidmet ist.
Frida Kahlo. Sämtliche Gemälde
Taschen Verlag, Köln
Luis-Martín Lozano, Andrea Kettenmann, Marina Vázquez Ramos
Hardcover
29 x 39,5 cm, 5,42 kg, 624 Seiten
150 Euro
ISBN 978-3-8365-7421-1
Still Life (Long Live Life) © Banco de Mexico Diego Rivera Frida Kahlo Museums Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2021