Laut Grit Wolany werden die großen Fragen, die uns – nicht nur als Kreativschaffende – bewegen, durch den Umgang mit KI völlig neu aufgeworfen: Was ist überhaupt Kreativität? Wie arbeiten wir mit Maschinen zusammen? Was macht uns menschlich und eine gute Idee aus? Als AI-Trend-Scout an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), im ADC und in ihrem Beruf als Art-Direktorin ist sie dazu viel im Austausch mit Studierenden und der Branche – und hat einiges zu erzählen …
Die Ergebnisse künstlicher Intelligenz können oft verwirrend, voreingenommen oder gar hässlich sein, das weiß Grit Wolany nur zu gut. Als AI-Scout und Trend Researcher sowie als langjährig erfahrene Art-Direktorin und Designerin möchte sie zeigen, dass es auch anders geht: In ihrer Hochschularbeit und in Workshops bringt sie Licht ins Dunkel und hilft Kreativen, diese Technologie stilvoll und verantwortungsbewusst zu nutzen.
Doch was macht ein AI-Trend-Scout überhaupt? »An der ZHdK haben wir die Stelle AI-Scout genannt, weil es ein bisschen offen sein sollte, was ich eigentlich dort mache«, lacht sie. »Ich hab ja Trends & Identity im Master dort studiert, davor Design. Als Expertin wollte ich mich nicht direkt bezeichnen, aber ich habe schon Wissen voraus und war deshalb mit AI-Scout ziemlich glücklich.«
Wer beim Begriff »Scout« – wie die Autorin dieses Textes – sofort an Wes-Anderson-Filme denkt, an ein neugieriges Mädchen, das mit dem Fernglas vom Turm aus den besten Überblick hat, liegt vielleicht nicht ganz falsch: Grit Wolany ist nicht nur über die Maßen neugierig, sie liebt es auch, in verschiedene Richtungen zu denken, Experimente auszuprobieren und sich nicht auf eine Persona festlegen zu müssen.
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Grit Wolany hebt im Gespräch hervor, dass die optimale Nutzung von KI stark von den individuellen Bedürfnissen abhängt. Das Spannende an der KI sei, dass jeder sie für sich so nutzen kann, wie es für einen persönlich praktisch ist – von experimentellen AI Voice Personas bis hin zum pragmatischen Zusammenfassen von Meetings. »Als jemand, der so wie du gerne schreibt, würde man das vielleicht nicht gern ersetzen lassen, dafür sind andere Einsatzmöglichkeiten für dich praktisch«, meint sie. Aus ihrer Arbeit an der ZHdK berichtet Grit Wolany, dass sie die Studierenden als sehr reflektiert und kritisch erlebe: »Sie sagen oft zu mir: ›Ich möchte mir ja nicht die schönen Dinge wegnehmen lassen, Dinge, die mir Spaß machen.‹ Und das ist vielleicht ein guter Anfang, zu sagen: ›Was macht mir denn keinen Spaß und bei welcher Aufgabe wäre ich nicht böse, wenn es schneller ginge?‹«
Bei einem internen Agentur-Workshop bei der Peter Schmidt Group im Rahmen ihrer »Future-Playgrounds«-Serie, an dem ich letztes Jahr teilnehmen durfte, bekam ich ihre humorvolle und lockere Einführung in diverse KI-Tools selbst mit. Sie wirkte erstaunlich unaufgeregt im Vergleich zu der rasanten Entwicklung vieler Tools, deren ständige Neuerungen einen als Kreativen oft unter Druck zu setzen scheinen. Grit Wolany hingegen spürt man die Freude am Ausprobieren an, aber auch den Spaß am hartnäckigen Dranbleiben. »Ich selbst bin 2002 fertig geworden mit dem Studium. Zu dieser Zeit war es so, dass man sich eine Weile mit Briefings beschäftigen konnte, um ein Konzept auszuarbeiten«, erzählt sie. »Wir Kreativen sind ja keine Maschinen, bei denen automatisch die Lösungen rauskommen. Seither ist jedoch alles immer schneller geworden, Prozesse werden gestreamlinet, obwohl man manchmal andere Wege gehen müsste, um auf neue Ideen zu kommen.
Das Explorative hat oft den größten Reiz. Wir sind es leider gar nicht mehr gewohnt, nicht genau zu wissen, ob es überhaupt ein Ergebnis geben wird.« An KI begeistert sie deshalb besonders, ohne Briefing eigene Versuche anzustellen. Sobald kommerzielle Designaufträge ins Spiel kommen, herrsche wieder mehr Erfolgsdruck: »Ich merke jetzt schon, dass es anders ist, wenn ich nicht frei experimentiere, sondern KI in einem Job verwenden soll. Wenn ich gefragt werde, wie lang ich noch brauche, setzt mich das gleich unter Druck, Zeit zwischen drei Stunden und drei Monaten zu beziffern. Besonders, wenn ein Team von deinem Output abhängig ist oder du Leute bezahlst.« Dass es im Umgang mit künstlicher Intelligenz aktuell noch eine gewisse Unplanbarkeit gebe, sei nicht allen Auftraggeber:innen zu erklären.
In den freien Arbeiten liegt für sie auch deshalb die meiste Kraft, weil sie sich mit viel Freiheit dem kreativen Prozess widmet. Agenturen, so ihre Erfahrung, nutzen KI zum Beispiel eher für visuelle Recherche oder Storyboards. Weil sie dann eher als ein Tool eingesetzt wird, das die Arbeit unterfüttere, ist vielleicht nicht ganz so viel Leidenschaft im Spiel, ganz anders bei freien Arbeiten ohne Zeitdruck.
Grundsätzlich sei sie stark von der Frage angetrieben, welche Ästhetiken wir bislang vielleicht noch gar nicht entdeckt haben – und sieht die Zukunft der KI im kreativen Bereich daher zugleich kritisch und optimistisch: »In meiner Recherche finde ich schon so viel Neues, aber gibt es ein Zwischending zwischen Foto und AI, immersive Welten, Bewegtbild, das wir noch nicht entwickelt haben? Diese Frage fasziniert mich sehr. Aktuell dominieren noch stark die menschlichen Fehler gepaart mit den Fehlern der Maschine.«
Dazu gesellt sich bei ihr auch die gedankliche Herausforderung, dass die Menge an Bildern, die durch KI produziert werden, zu einer gewissen Beliebigkeit führen kann. Ganz zu schweigen von der irrsinnigen Datenmenge, die schon aus Gründen der Nachhaltigkeit wahnwitzig ist. Schon jetzt verbraucht die Datenspeicherung von KI bereits so viel Energie wie ein kleines Land und Expert:innen schätzen, dass sich der Bedarf bis 2026 verdoppelt. »Ich bin hin- und hergerissen zwischen Begeisterung für die Möglichkeiten und der Sinnlosigkeit, was man da an Bildermengen produziert«, gibt Grit Wolany zu. »Eigentlich müssten diese besser recycelt werden. Da bin ich zerrissen. Aber unterm Strich ist der Prozess das Interessanteste für mich, diese Freude am Machen – wie früher, wenn man mit den Händen gearbeitet hat.«
Dass genau an diesem Moment des Flows der kreative Prozess oft nicht planbar ist beschreibt sie auch als seine Stärke: schnell verschiedene Ideen ausprobieren zu können, um sich gestalterisch auch mal auf unerwarteten Resultate einzulassen. Ganz generell sei diese Form der Bilderflut im Grunde aber nichts Neues: »Das gab es schon vor generativem Design. AI ist oft nicht der Grund, sondern eher ein Symptom, eine Antwort auf kulturelle Muster«, sagt sie. »Es gab immer schon Templates, man suchte immer schon den einfachen Weg, es gab immer schon Gegenrechnungen und KPIs, man versuchte immer schon die beste, kreativste Idee irgendwie messbar zu machen, um sie dann zu beschleunigen.«
Gerade deshalb scheinen ihre spielerischen Workshops einen Gegenentwurf zu liefern, wie man sich Technologie ohne Druck annähern kann. Bei ihren Workshopteilnehmer:innen erlebe sie oft, dass die verschiedenen AI-Tools den Leuten viel Spaß bereiten, wenn sie prozessorientiert denken können: »Es ist dann beim Experimentieren und Dazulernen spannend, weniger für diejenigen, die hinterher nur das Ergebnis sehen, wie bei einem Kind, das der Mama ein selbstgemaltes Bild hinhält«, lacht sie.
Grit Wolany bietet thematisch eine Vielzahl an Workshops und Keynotes an, die nicht nur wertvolles Wissen, sondern auch praktische Tipps und Tricks vermitteln. Ihre Impulse reichen von tiefen Einblicken in Generative AI und Midjourney bis hin zu kurzen Inputs und Keynotes über das Potenzial von KI und Kreativität. Teilnehmende lernen, wie Text- und Bild-KIs funktionieren, welche ethischen und rechtlichen Herausforderungen es gibt – und vor allem, wie man diese praktisch anwendet.
Text: Sonja Pham
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