Die Macht von Plakaten: Im Lauf ihrer Geschichte hat die mächtige Volksrepublik China das vielseitige Medium oft als Vehikel politischer Kommunikation genutzt. Eine stattliche und in ihrer Form einzigartige Sammlung wurde nun als großformatiger Bildband von Taschen herausgebracht.
Großartig und gruselig
Heutzutage nutzt die chinesische Regierung Influencer oder den eigenen Auslandssender CGTN, China Global Television News, um ein idyllisches Bild des Landes zu zeichnen. Die Deutsche Botschaft in Brüssel meldete, die chinesische Regierung verfüge über »eine breite Toolbox zur Manipulation des globalen Informationssystems«.
Der XL-Bildband »Chinese Propaganda Posters« von Taschen widmet sich hingegen dem Zeitraum zwischen der Gründung der Volksrepublik 1949 und den frühen Achtzigerjahren. Eine Ära ohne Social Media und TV-Sendern, dafür mit einer Fülle eindrücklicher Propagandaplakate, deren Zusammenstellung laut The Independent »gleichermaßen großartig und gruselig« erscheint.
Vorstellungswelt einer Generation
Als Co-Autoren taten sich der promovierte Sinologe Stefan R. Landsberger und der renommierte Dicher Duo Duo zusammen mit der chinesisch-amerikanischen Schriftstellerin Anchee Min. Sie selbst war in Maos China aufgewachsen und hatte als leidenschaftliche Parteigängerin sogar eine Hauptrolle in einem Film von Maos Frau Jian Ching übernommen. Nachdem sie 1984 in die USA emigriert war, schrieb sie unter anderem die Bestseller-Biografie »Becoming Madame Mao«. Darin verhandelt sie die Persönlichkeit und das Leben von Jiang Qing nach, die eine treibende Kraft hinter der Kulturrevolution war und den Hass der Bevölkerung auf sich zog.
In ihrer sehr persönlichen Einleitung erzählt Anchee Min von ihrer ersten Begegnung mit den Propagandaplakaten: »Meine Leidenschaft für die Plakate wurde geweckt, als ich acht Jahre alt war. Eines Tages brachte ich ein Bild des Vorsitzenden Mao aus der Schule mit nach Hause. Obwohl ich nicht wusste, dass die Kulturrevolution
begonnen hatte, nahm ich durch diese Handlung daran teil – ich nahm das Frieden-und-Glück-Gemälde meiner Mutter mit Kindern, die in einem Lotos-Teich spielen, von der Wand und ersetzte es durch das Mao-Poster.« In ihrem bewegten Leben spürte sie die Folgen der Kulturrevolution, wie Millionen anderer Chines:innen, deren Ursprung für sie auch in den Plakaten steckt. »Max Gottschalks Sammlung chinesischer Propagandaplakate ist einzigartig und beeindruckend«, schreibt sie weiter. »Die Plakate zeigen die Vorstellungswelt einer ganzen Generation und spiegeln einen wichtigen Abschnitt chinesischer Geschichte wider, der oft falsch dargestellt wird. Ein Bild ist mehr wert als tausend Worte, deshalb lasst die Bilder sprechen!«
Allgegenwärtige Plakate
Mao verfolgte innenpolitisch mit seiner Zensur das Ziel, regimefeindliche Anschauungen zu unterbinden und, gelinde ausgedrückt, die Regierung in günstigem Licht zu präsentieren. Mehr noch, auf seinen Plakaten wurde Mao zum stoischen Superheld, wurde als Großer Lehrer und Führer porträtiert. Die Bilder zeigen ihn nicht nur bei seinen zahlreichen Glanztaten, sondern auch völlig alltäglichen, banal scheinenden Situationen: beim Inspizieren von Fabriken, mit Feldarbeitern eine Zigarette rauchend, in Bademantel am Ufer des Yangtse, am Bug eines Schiffs stehend oder über einem roten Fahnenmeer schwebend. Besonders bleibt sein rotes Gesicht in Erinnerung, das auf den Abbildungen Lichtstrahlen in alle Himmelsrichtung auszusenden scheint.
Gemeinsam Richtung Utopia
Doch nicht nur der große Vorsitzende Mao Zedong war zwischen 1949 und den frühen 1980er-Jahren in Form von Propagandaplakaten allgegenwärtig. Auch das Idealbild der Bevölkerung wurde zahlreich dargestellt, in einer Manier, die uns auch von Nazi-Propaganda bekannt ist: Kräftige, attraktive Frauen, vor Gesundheit und Stolz strotzende Männer mit alterslosen Gesichtern, strahlende Kinder. Die Figuren bildeten ab, wie sich Mao das moralisch korrekte Verhalten seines Volkes wünschte, und wie begeistert sie von ihm sein sollten. Wie sehr sie sich scheinbar auf die wunderbare Zukunft ihres kommunistischen Landes freuen konnten. Gemeinsam mit dem Führer in Richtung Utopia.
Neben einer spektakulären Auswahl teils extrem seltener Propaganda-Kunstwerke umfasst das Buch aber auch weiterführende kulturelle Artefakte, die das gesellschaftliche Ideal dieser Ära abbilden.
Fakten und Fiktion
Doch nicht auf alle wirkten die minutiös gestalteten Plakate ein. »Ich bin ein Glücklicher. Mit 20 Jahren habe ich Vincent van Gogh und Picasso kennengelernt. Seitdem konnte man mich nicht mehr zwingen, eine innere Beziehung zu einem Plakat aufzubauen«, schreibt der Dichter Duo Duo in einem seiner Textbeiträge. »Als ich allein mit dem Fahrrad unter den immer wachsamen Blicken unseres Führers an den mit Plakaten von großen und starken Arbeitern, Bauern und Soldaten verhängten Mauern vorbeifuhr, kam ich mir vor wie eine Figur aus Kafkas Romanen. Von da an begann ich zu schreiben und einsam zu sein. Von da an begann mein Leben im Exil.« Doch ebenso beschreibt er, dass er sich nach dem Betrachten der 400 Plakate innerlich wie betäubt fühlt. Die immergleiche Botschaft, der Partei und dem Volk zu dienen, muss ihm nach so vielen Jahren außer Landes absurd vorkommen, doch vielen gelang die Emigration nicht.
Das Buch ist in verschiedene Kapitel geteilt, die allesamt zeigen, wie sehr die Propagandaplakate in alle Lebensbereiche einwirkten: das Arbeitsleben, die Familienstruktur, Kultur und Kunst, Militär und Ausbildung. In ihrer Gestaltung wirken viele von ihnen beinahe naiv. »Schwarze Linien bildeten Umrisse, die in strahlendem Rosa, Rot, Gelb, Grün und Blau ausgemalt waren«, beschreibt Stefan R. Landsberger sie. »Diese Werke schufen eine Art faction – eine Kreuzung aus Fakten und Fiktionen –, indem sie das Positive herausstrichen und alles Negative aufpolierten. Zur Propagandakunst wurden sie durch die politischen Parolen.« Er umreißt in seinem Text aber auch den Niedergang der Plakatkunst. »Es sind zwar noch einige politische Plakate erhältlich, doch nur Sammler aus China oder aus dem Westen interessieren sich anscheinend dafür. Die Bilder, die einst das China-Bild prägten, sind verschwunden.«
Ein eindrückliches Dokument
Der Bildband versammelt seltene Schlüsselwerke aus der riesigen Sammlung Max Gottschalks und vermittelt ein ungeheuer detailliertes Bild von der Utopie, an die sich die Volksrepublik klammerte. Ob Landarbeiter, Fertigungsstraßen und lernwillige Schulkinder abgebildet werden, die Figuren und Szenen repräsentieren ein politisches Dokument, das lange nachhallt und beweist, wie tief Kampagnen und Kommunikationsdesign ins alltägliche Leben einer Bevölkerung einwirken können.
Chinese Propaganda Posters
Hardcover, 26 x 34 cm, 2,73 kg, 320 Seiten
€ 50
Mehrsprachige Ausgabe:
Deutsch, Englisch, Französisch
www.taschen.com