Passend zur Olympiade feiert ein wunderbarer, großformatiger Bildband den Fotografen Robert Doisneau und sein liebstes Modell: Paris!
»Le baiser« – den Kuss vor dem Rathaus kennt wohl jeder, doch der Urheber ist vielen weniger vertraut. Dabei gehört Doisneau zu den populärsten Fotografen Frankreichs, zahllose seiner Bilder haben Geschichte geschrieben. Die bisweilen unterstellte Leichtigkeit, gar Banalität der Motive erweist sich bei näherer Betrachtung als Irrtum, hier ist ein feinsinniger Artist am Werk. Das große Bildformat und die chronologische Sammlung offenbaren auf 440 Seiten auch, welche Arbeit hinter den »Zufallstreffern« steckten und dass der glückliche Schnappschuss bisweilen erst nach stundenlangem Warten gelang.
In seiner Autobiografie schreibt der 1912 geborene Doisneau, er sei noch mit der Holzkamera groß geworden. Tatsächlich schleppte er anfangs eine gewaltige hölzerne 18×24-Kamera, samt Glasnegativen, Abdecktuch und Stativ – ganz ähnlich seinem großen Vorbild Eugene Atget. Seine erste Aufnahme zeigt einen Stapel Pflastersteine, wobei die geschickte Ausleuchtung fasziniert. Bald wechselte er zur Rolleiflex, seinerzeit die wichtigste zweiäugige 6×6-Kamera. Der gebeugte Blick in den Lichtschachtsucher kam seiner Schüchternheit entgegen, lange fürchtete er sich, Menschen zu fotografieren. Doch das gab sich zum Glück, seine Porträts von Prominenten und Unbekannten sind legendär: Pablo Picasso mit den berühmten Semmel-Händen, Tati mit dem total zerlegten Fahrrad, Braque, Utrillo, Francoise Sagan, Isabelle Huppert, die ganz junge Bardot und natürlich seine Lieblinge Blaise Cendrars und vor allem Jacques Prévert …
Doch es sind gerade seine Pariser Alltagsszenen, die ihn zu Recht berühmt gemacht haben. Momentaufnahmen von Typen und Figuren, voller Liebe und Humor, ohne Scheu, aber ohne die Protagonisten je der Lächerlichkeit preiszugeben. Arbeiter, Handwerker, Concierges, Clochards, die Akteure der »Halles«, die Kämpfer gegen die Besatzer und die Feiernden der Befreiung, Feste der High Society und immer wieder Kinder, deren Spontaneität und Direktheit ganz dem »Straßenfotografen« (Doisneau) entsprachen. Entstanden ist so eine Chronik des verschwundenen Paris, darin durchaus Atget verwandt. Doch ob Prominenz oder Straßenmotiv – stets scheint der selbsternannte „Bilderdieb“ mit einem leisen Lächeln abgedrückt zu haben. Der namhafte französische Fotokritiker und -historiker Jean Claude Gautrand hat aus den rund 450.000 Negativen eine kluge Auswahl getroffen und mit erläuternden Texten begleitet, die Doisneaus besondere Bedeutung unterstreichen. Eine großartige Gelegenheit, auch diesseits des Rheins den Fotografen und Paris neu zu entdecken.
Text: Herbert Lechner
© 2024 Atelier Robert Doisneau, Paris
© 2024 Atelier Robert Doisneau, Paris
Robert Doisneau: Paris
Hrsg. Jean Claude Gautrand, Taschen Verlag
Hardcover, 25 x 34 cm, 3.31 kg, 440 Seiten
ISBN 978-3-8365-9948-1
50,– Euro