»Seit ich mit zehn Jahren ungewollt Besitzerin einer Eigentumswohnung wurde, spüre ich kontinuierlich einen Druck, den ebendiese auf mich ausübt: Einerseits kann ich unendlich froh über das Erbe meines Vaters sein, andererseits bin ich dadurch ohne mein zweites Elternteil aufgewachsen und fühle mich verpflichtet, in dieser Wohnung zu leben und auf sie achtzugeben«, schreibt Farina Michelle in der Einleitung ihres Buchs »Stand der Dinge«, mit dem sie die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg abschloss. Es setzt sich typografisch mit dem potenziellen Erbe eines Menschen auseinander.
Inzwischen lebt sie elf Jahre in ihrer Wohnung, umgeben von materiellen Dingen, die immaterielle Erinnerungen evozieren und sie über einige Studienfächer, Beziehungen und Errungenschaften hin begleitet haben. Der Entscheidung, für ihre Abschlussarbeit alle Besitztümer aufzuzählen, ging einerseits die große Leidenschaft für Typografie voraus, die sich in akkuraten Listen auf besondere Weise niederschlägt; sie verwendet die Atlas Grotesk im Wechselspiel mit der Atlas Typewriter Regular. Andererseits auch das genuine Interesse für individuellen Besitz:
»Menschen in ihrem Zuhause zu besuchen, sei es für fünf Minuten bei einem EBay-Kleinanzeigen-Verkauf oder für längere Zeit, fasziniert mich, weil die Dinge, die einen umgeben, so viel über jemanden aussagen.«
Farina Michelle Goffelmeyer
Der erste Teil der Arbeit entspricht einer Art Überblick: Welche Beziehungen können Menschen zu ihren Gegenständen haben, was sagen diese über sie aus? In welchem Bezug stehen die Objekte zueinander und wie ist deren Ordnungssystem angelegt? Die Katalogisierung erfährt im zweiten Teil des Buches eine weitere Ebene, wenn die Autorin ihre subjektiven Emotionen gegenüber den Besitztümern typografisch aufbereitet und Leser:innen in ihre Gefühlswelt einlädt. Visualisiert durch schwarze Kästen in verschiedenen Größen, bildet sie die jeweilige Beziehung zu den Gegenständen ab und erzeugt Querverweise durch das ganze Buch hinweg.
Diese Momentaufnahme stellt die bürokratische Arbeit eines Listen erstellenden Nachlasspflegers ihren persönlichen, fast intimen Erinnerungen gegenüber. Durchzogen ist ihre Thesis zudem von Fakten rund um die Frage nach dem Privatbesitz. Deutsche Durchschnittsbürger:innen, heißt es etwa, besäßen circa 10.000 Gegenstände. Wenn das Amtsgericht einen Nachlasspfleger damit beauftragt, sich Zugang zu einem Wohnraum zu verschaffen, werden von diesem zunächst sogenannte »Werte« gesichert, ein eventuell bereitliegendes Testament gesucht. »Beim ersten Betreten der Wohnung können viele erfahrene Nachlasspfleger ableiten, wie ein Mensch gewesen ist oder welchen Alltag er gehabt haben könnte«, schreibt Farina Michelle.
In Gegenüberstellung mit ihrer eigenen Lebenssituation verweist sie etwa auf den Grafiker Christian Lange, der 2011 auf Basis der Haushaltsbücher seiner Mutter das Buch »Lange Liste 79-97« veröffentlichte, oder auch das »Archiv des Ungewollten«, einer Arbeit von Katharine Watzlawick, die in Tabellenform durch EBay Kleinanzeigen der westlichen Konsumgesellschaft nachspürt.
Für ihre Arbeit erhielt Farina Michelle die Bestnote 1,0 und arbeitet mittlerweile selbständig mit dem Schwerpunkt Editorial und Corporate Design. Welche Arbeiten, Buchprojekte und Erinnerungsstücke wohl seit ihrem Abschluss der persönlichen Liste hinzugefügt wurden?
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