Millionen von Menschen nutzen täglich YouTube und rund 70% der Beiträge, die gesehen werden, schlägt der Auswahl-Algorithmus vor. Dieses Instrument ist also enorm wirkungsvoll und beeinflusst unsere Informationsauswahl maßgeblich. Mit TheirTube hat der Designer und Entwickler Tomo Kihara ein Instrument geschaffen, dass auf spielerische Weise erlaubt, die eigene Filterblase zu verlassen.
Dass einem Plattformen wie Facebook oder YouTube immer mehr vom Gleichen zuspielen, ist nichts Neues, doch anhand von YouTube wird klar, wie wirkmächtig die dahinter liegenden Auswahl-Algorithmen sind: 70 % aller Videos, die gesehen werden, hat zuvor der Algorithmus vorgeschlagen. Das ist einerseits recht praktisch, weil man so vieles entdeckt, was dem eigenen Geschmack entspricht, genau hier liegt aber auch das Problem. Wer beispielsweise Corona für eine Erfindung hält oder den Klimawandel für ausgemachten Blödsinn, der bekommt immer mehr Inhalte zugespielt, die diese Weltsicht bestätigen.
Die berühmt-berüchtigte Blase, in der man sich gedanklich bewegt, verfestigt sich also immer mehr. Genau hier setzt das Projekt von Tomo Kihara an. Unter dem Namen TheirTube hat der in Amsterdam ansässige Creative Developer eine Webseite erstellt, die es Besuchern erlaubt, die eigene Blase zu verlassen und in die Haut eines anderen Nutzers zu schlüpfen.
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Auf TheirTube kann man in die Welt einer von sechs Persönlichkeiten eintauchen, zur Auswahl stehen: ein Verschwörungstheoretiker, ein Klimawandel-Leugner, ein Konservativer und ein Liberaler sowie ein Prepper und ein Frutarier. Kihara hat diese exemplarischen Persönlichkeiten aus Interviews hergeleitet, die er mit Menschen führte, die diese Interessen und Denkweisen teilen. Über die TheirTube-Profile folgte Kihara den selben Kanälen, denen auch die Interviewkandidaten folgen und sah sich die entsprechenden Videos an, so konnte er eine ähnliche Historie an Views und somit an Vorschlägen des Algorithmus erzeugen. Täglich neu finden sich nun auf TheirTube die Empfehlungen, die YouTube ausgewählt hat.
Mit dem Sprichwort »Wasser ist das, was Fische als letztes wahrnehmen«, umschreibt Tomo Kihara unsere eigene Wahrnehmung, wenn wir uns im Internet bewegen. Unsere unmittelbare Umgebung erscheint uns so selbstverständlich, dass wir überhaupt nicht bemerken, wie sehr sie von aussen gesteuert wird und vor allem, wie sehr sie sich von der »Realität« anderer Menschen unterscheiden kann.
Mit TheirTube ermöglicht Kihara uns allen nun, einmal über den Tellerrand hinauszublicken und Dinge und Zusammenhänge zu sehen, die wir über unsere eigenen IP-Adressen und Accounts so nie sehen würden. Für sein Projekt wurde Tomo Kihara bereits mit dem Mozilla Creative Media Award ausgezeichnet.