Als kollaboratives Design-Tool ermöglicht Figma es Teams jeder Größe, gemeinschaftlich an digitalen Konzepten zu arbeiten. Sein enormer Erfolg begründet sich – neben der barrierefreien Anwendung – in der spielerischen Weise, mit der kreative Ideen entwickelt und umgesetzt werden können. Das zeigte nicht zuletzt der milliardenschwere Merger mit Adobe. Beim Launch Figma-Standorts in Berlin ergab sich für uns im Sommer die Gelegenheit, einige brennende Fragen zum Fokusthema Kollaboration unseres aktuellen Hefts loszuwerden.
Eine vereinfachte Form des Teilens
Das herkömmliche Setting für Designprozesse ist den meisten bekannt: Parallel nutzt man diverse Desktop-Anwendungen einschlägiger Anbieter, um Entwürfe zu erstellen und diese abzuspeichern, sendet die Datei anschließend per E-Mail oder via Dropbox an den Kunden oder die Kollegin, die sie herunterladen und im entsprechenden Programm öffnen können. »Dass Figma stattdessen browserbasiert funktioniert, hat den großen Vorteil, dass mehr Menschen an diesem Prozess teilnehmen können – niedrigschwellig, per Link«, sagt Yuhki Yamashita, designierter Chief Product Officer bei Figma. Infolgedessen seien laut Nutzererhebungen bereits zwei Drittel von ihnen keine Designer:innen mehr, sondern in der Entwicklung, im Produktmanagement oder Marketing tätig. »Dass User ein Projekt schnell mit einem Klick öffnen können, hat den Charakter von Kollaboration nachhaltig verändert«, so Yamashita. »Hier finde ich den Vergleich mit Google Docs im Verhältnis zu Microsoft Word passend: Durch die vereinfachte Form des Teilens sind Leute eher bereit, Ideen in einem viel früheren Stadium herzuzeigen. Sie warten nicht bis zum endgültigen Entwurf, den sie herumschicken, sondern können ihre Designs ja ohnehin permanent aktualisieren.«
Wandel in der Zusammenarbeit
In seiner Rolle ist Yamashita maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich Figma als browserbasiertes Programm dennoch wie eine reibungslose Desktop-Anwendung anfühlt – eine, die alles beinhaltet. Die gesamte Arbeitsfläche entspricht samt Werkzeugleiste und Organisationselementen einer typischen Grafiksoftware, die mittels frei einstellbarer Raster strukturiert werden kann. Primär richtet sich die Ausstattung an UI-/UX-Designer:innen, kann aber für Grafikprojekte aller Art verwendet werden. Mittels vektorbasierter Elemente lässt sich jeder Entwurf verlustfrei skalieren, als Prototyp ausspielen oder fertiger Entwurf exportieren. »Was Figma für mich so attraktiv machte, war die Idee, Design als Open Source zu begreifen«, so Yamashita, der zuvor für Uber und Google tätig war. »Statt schöne Projekte als flache PNGs auf Behance zu zeigen, werden in der Figma-Community offene Dateien geteilt, die alle verwenden können – ob ein Emoji-Set oder ein aufwendiges 3D-Design.« Zusätzlich verfügbar sind spezielle Plugins – etwa für realistisch aussehenden Blindtext.
»Wir sprechen von Figma als wirkungsvollen Editor, den wir im Prinzip nur so erweitert haben, dass man das gesamte Designteam einbeziehen kann«, so Mareike Busche, die als Sales Director für die gesamte DACH-Region zuständig ist. »Nehmen wir an, ich bin ein Projektmanager, der den Status quo eines Konzepts überprüfen möchte; wenn ich in den Prototyp-Modus wechsle, kann ich sehen, wie sich ein Design für den Kunden anfühlt, und hierzu direkt Kommentare hinterlassen.« Dasselbe gilt für Frontend- oder Backend-Entwickler, die Fehler viel früher finden, oder Copywriter, die ihre Texte besser entwickeln können, weil sie am gesamten Prozess beteiligt sind. »Ohne Barrieren kann jeder direkt von Anfang an mit wertvollem Feedback eingebunden und Änderungen in Echtzeit, beispielsweise direkt in Meetings, vorgenommen werden«, so Yuhki Yamashita. »Wir sehen allmählich, dass ein Wandel in der Zusammenarbeit stattfindet, dass auch viele Nicht-Designer zum Designprozess beitragen. Die Leute fangen an, Designs eigenständig zu iterieren.«
Design inspiriert von Code
Das liegt sicherlich auch an den verfügbaren Designsystemen, deren Komponenten sich, vereinfacht gesagt, wie Legosteine aufbauen. Die Idee dahinter sei, erklärt Yamashita, dass Design von Code inspiriert werde: »Wir lassen Code-Prinzipien ins Design einfließen, etwa Layout-Eigenschaften. Auf diese Weise muss sich ein Designer nicht mit jedem einzelnen Pixel befassen oder einen Button von Grund auf neu entwerfen, sondern kann Zeit in die wirklich wichtigen Gestaltungsfragen investieren.« Kleinteilige Arbeiten wie Icon-Designs, die sonst in Illustrator von einer Person umgesetzt werden, können so zum kollaborativen Prozess werden: Allen stehen die gleichen Werkzeuge zur Verfügung. Das trage auch zum besseren Verständnis für gestalterische Arbeit als solche bei, ist sich Yuhki Yamashita sicher: »Wir schätzen es, dass alles in Echtzeit passieren kann und Design kein linearer Prozess sein muss.«
Doch was hat es mit dem erklärten Ziel der Demokratisierung des Designprozesses auf sich? Was macht das mit dem kreativen Beruf, wenn plötzlich jeder auf alles zugreifen kann? »Das Einzigartige ist, dass alles am selben Ort stattfindet«, so Mareike Busche. »Mit einem nahtlosen Workflow von der allerersten Idee über die Erstellung bis hin zur Feedbackschleife und der Übergabe an den Entwickler macht das gemeinsame Vorankommen gleich viel mehr Spaß – ohne zehn Bilder herunterladen und auf Feedback-E-Mails warten zu müssen. Figma fühlt sich an, als wären alle auf einer Seite – im wahrsten Sinne des Wortes.«
Mit Dylan Field sprachen wir ausführlicher über seine Vision. Er schmiss 2012 sein Informatikstudium an der renommierten Brown University hin, um Figma gemeinsam mit Evan Wallace zu gründen, und fungiert heute als CEO.
Dylan, was ist für dich die Zukunft von Kollaboration?
Mein Wunsch für Figma ist, dass es damit gelingt, Ideen so schnell wie möglich aus dem Kopf auf den Bildschirm bringen zu können. Wir möchten immer besser darin werden, die Geschwindigkeit der Iteration einer Idee zu beschleunigen. Auf diese Weise wird nicht nur der eigene Kopf, sondern der kollektive Sinn eines Teams immer wirkungsvoller und kann es schaffen, eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln. Egal, ob es sich dabei um ein kleines Team oder eine große Organisation handelt: In der Gruppe lassen sich Ziele besser und schneller erreichen.
Zwei Drittel eurer Nutzer:innen sind nicht primär im Design, sondern in der Entwicklung oder Content Creation tätig. Wertet ihr das als Zeichen, dass Figma seine Funktion erfüllt, wenn insbesondere Personen ohne Designausbildung damit klarkommen?
Das hoffe ich sehr! Oft spreche ich beispielsweise auch mit Unternehmensgründer:innen, jungen Start-Ups, die sich noch kein Designteam leisten können und sich richtig darüber freuen, durch Figma Zugang zu Design zu erhalten, obwohl ihnen das immer fremd war. Das gefällt mir wahnsinnig gut.
Wie haltet ihr die Balance zwischen einfacher Bedienbarkeit und komplexen Anwendungsmöglichkeiten?
Aus gestalterischer Sicht ist dies eine der größten Herausforderungen für uns. Wir entwerfen quasi eine Treppe, deren nächste Stufen wir zwar noch nicht kennen, aber im Kopf behalten und ebenso meistern müssen. Wie können wir also die einfachen Dinge einfach bleiben lassen, aber Komplexität dennoch möglich machen? Designprogramme wirkten in der Vergangenheit auf viele sehr einschüchternd. Darüber denke ich oft nach. Wenn das Tool leistungsfähiger werden soll, darf es trotzdem nicht komplizierter werden.
Auch der visuellen Verspieltheit von Figma ist zu verdanken, dass es vergleichsweise zugänglich erscheint. Hast du dir dazu Gedanken gemacht, wie dieser verspielte Charakter vielleicht sogar die Kreativität innerhalb eines Teams verändern kann? Wie denkst du über das Setting, das es braucht, um kreativ zu sein?
Ich denke, dass Verspieltheit, die Möglichkeit einer gedanklichen Spielwiese, in vielerlei Hinsicht eine Voraussetzung für Kreativität ist. Wer ein kreatives Mindset anstrebt, kann durch spielerische Experimente dorthin gelangen und so Inspiration finden. Kreativität bedeutet für mich, auf unbefangene Weise Perspektiven einzubringen, sich auszuprobieren, nicht perfekt sein zu müssen. Diese Haltung möchten wir mit Figma vermitteln: Durch spielerisches Erforschen lassen sich insgesamt schönere Ergebnisse generieren.
Bei unserem Brainstorming-Tool FigJam ist diese Komponente sehr wichtig. Als wir FigJam auf den Markt brachten, stellten wir uns die Frage nach den Unterscheidungsmerkmalen dieses Tools. Wir definierten Schlichtheit als Priorität, um sicherzustellen, dass es allen leicht fällt, sich aktiv einzubringen. In wie vielen Meetings warst du schon – bei mir waren es viele! –, in denen sich der halbe Raum nicht zu Wort gemeldet hat? Weil die Leute entweder das Gefühl haben, dass ihre Meinung keine Rolle spielt, oder weil sie Angst vor der Kritik anderer haben? Wir wollten deshalb einen kreativen Raum schaffen, der ermutigend ist.
Was geschieht deiner Meinung nach, wenn ein Designprozess vollkommen transparent wird? Wird die wahre Leistung von Design besser verständlich, wenn man Zugang zu diesem sonst eher undurchsichtigen Prozess bekommt und Ideen mitverfolgen kann, bevor sie ausgereift sind?
Eine transparente Arbeitsweise kommt meiner Meinung nach Designer:innen sehr zugute. Interessant war, dass zunächst viele von ihnen Angst davor hatten, als wir mit Figma starteten. Es schien für zahlreiche Gestalter:innen wie eine massive Veränderung, ihren Arbeitsprozess nicht mehr zu verstecken, sondern zu zeigen. Besonders bei der ersten Ideenfindung, bei der man sich oft unsicher fühlt. Viele äußerten Sorgen: »Oh, warte mal, wenn ich meine gesamte Arbeit preisgebe, denken die Leute vielleicht, dass ich gar nicht viel kann.« Mein Eindruck ist, dass Designer:innen oft am Impostor-Syndrom leiden. Das ist doch seltsam, denn genau diese Ängste hindern sie schließlich daran, ihrem Team zu zeigen, was gestalterische Arbeit bedeutet. Was Design in der Lage ist zu leisten. Das kann sich ändern, wenn jeder die Iterationen miterlebt, die in ein Projekt einfließen, die Sackgassen, die Fehlstarts, die vielen Optionen.
Für Außenstehende ist der Designberuf immer noch ein total seltsames Handwerk, für das es jedoch immenses Talent braucht, um wirklich exzellent darin zu sein. Klar, jeder kann irgendwelche Designtools bedienen, aber es dauert viele Jahre, bis man einen Punkt erreicht, an dem man absolut Unglaubliches, Episches erschaffen kann. Ich denke, je mehr man also den Designprozess zur Schau stellt, desto mehr Leute verstehen das. So erhält ein Designer in seinem Team viel mehr Strahlkraft.
Mehr zur Figma x Adobe Kollaboration in einem Artikel von Dylan Field
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