»A House is a House is a House« – mit einem Motto, das verschiedene Formen von Häuslichkeit, Wohnraum und Nachbarschaft unter die Lupe nimmt, lädt zum zehnten Mal das Festival für Dokumentarfotografie FOTODOKS ein. Das hybride Programm stellt spannende, zeitgenössische Fotograf:innen in einer abwechslungsreichen Gruppenausstellung in der Münchner Lothringer13 Halle vor.
Und ja, bevor Sie fragen: Mit der Einladung ist tatsächlich gemeint, dass die Münchner Kunsthalle betreten werden darf und Besucher:innen zwischen 7. Juni und 4. Juli gedruckte, gerahmte Bilder dort ansehen können. Besonders nach einer Zeit, die von Remote Working und digitalen Kulturformaten geprägt war, ist dieser Umstand eine spezielle Erwähnung wert. Das FOTODOKS-Team hat ein ausgeklügeltes Hygienekonzept entworfen, und wird die Ausstellung zusätzlich auch digital zugänglich machen.
Inhaltlich ist ebenso zu spüren, dass die Corona-Zeit von denkwürdigen Maßnahmen geprägt war. Die Intimität des individuellen Zuhauses kristallisierte sich neu heraus, wurde politisiert, bisweilen auf den Kopf gestellt und auf ihre Substanz überprüft. »A House is a House is a House«, das Motto der interdisziplinären Ausstellung, bezieht sich nicht nur auf das, was jeder subjektiv mit dem Gefühl von Zuhause verbindet, sondern taucht auch in das kollektive, gegenwärtige Verständnis verschiedener Ambivalenzen ein.
Eines dieser Themen, das die starke Dehnbarkeit des Begriffs verdeutlicht, sind Femizide. Die Fotoarbeit von Emine Akbaba greift die traurige Zahl von 300 Frauen auf, die im vergangenen Jahr von Männern ermordet worden sind – jeweils damit gerechtfertigt, die Frau habe den Tod verdient, »weil sie sich anders kleidet, die Trennung will oder sich das Recht nimmt, eine Versöhnung abzulehnen.«
Dass »Zuhause« oftmals eher eine schlampige Behausung meint als einen Ort der Zuversicht und Geborgenheit, das zeigt die Serie »Now you see me Moria«, die wir Ihnen schon einmal vorgestellt haben. Auch die Arbeit von Noelle Mason ist ein sehr berührender Beitrag zu den unfassbaren Wegen, die viele Geflüchtete wählen, um den vermeintlich sicheren europäischen Boden zu erreichen: »Das Bild eines in einem Koffer versteckten Kindes, das 2015 an der spanisch-marokkanischen Grenze von einem Röntgengerät entdeckt wurde, hatte sich mir eingeprägt, seit ich es vor sechs Jahren in einer britischen Zeitung gesehen habe«, schreibt die Autorin Max Houghton für den FOTODOKS-Katalog über die Serie »Backscatter Blueprint«.
»Entgegen einer idealisierten Perspektive auf das Zuhause, ist es auch mit prekären Lebensbedingungen, tradierten Familienbildern, der Gefahr gegenüber Gewalt, Obdachlosigkeit, dem Absprechen von Zugehörigkeit, Diskriminierungen oder Einsamkeit verbunden«, schreibt das Festivalteam auf seiner Website. Aber auch das Skurrile, das Absurde darf neben all den aufwühlenden Beiträgen eine Rolle spielen, wie die Arbeit von Buck Ellison beweist. Er zeichnet mit seinen sauberen Familienfotografien ein beeindruckendes Bild vom Milieu der sogenannten W.A.S.P. (Weißen angelsächsische Protestant:innen), die den Kontrast zu den restlichen Serien nicht stärker wirken lassen könnten.
Weiters stellen aus: Dannielle Bowman (US), Cyprien Clément-Delmas & Lindokuhle Sobekwa (FR, ZA), Nanna Heitmann (DE/RU), Sohrab Hura (IN), Jochen Lempert (DE), Drew Nikonowicz (US), Arzu Sandal (DE) und Henk Wildschut (NL). Die zwölf Fotoprojekte, die teils über einen jahrelangen Zeitraum hinweg entstanden, ergänzen sich in Stilrichtungen, Perspektiven und Facetten; das FOTODOKS-Team hat eine wunderbare kuratorische Vorarbeit geleistet.
Zur Ausstellung wurde ein umfangreicher Katalog als Begleitlektüre konzipiert, der von unseren lieben Partnern von F&W Medien hochwertig umgesetzt wurde. Er ist für alle Besucher:innen kostenfrei und kann auch bestellt werden, wenn Sie tiefer in die Bild- und Themenwelten eintauchen möchten.
Zur Ausstellung: FOTODOKS Festival 2021