Unter dem Titel »Haven’t we all been bad designers?« hat der Grafikdesigner Richard van der Laken ein Opinion Piece zum Thema Konsum und Verschwendung veröffentlicht, das wir hier mit Ihnen teilen dürfen. Er ist Mitbegründer von De Designpolitie, dem Designkollektiv Gorilla und der Designplattform What Design Can Do.
In diesem Monat wurde bekannt, dass die Second-Hand-Läden in den Niederlanden aufgrund der Coronavirus-Krise mit Waren überfüllt sind. So voll, dass sie sogar die Annahme von Spenden eingestellt haben. Perfekt funktionierende Kaffeemaschinen, Küchengeräte und Möbel landen so in der Verbrennungsanlage. Mittlerweile quellen die Lagerhäuser in ganz Europa über vor Plastikmüll. In Polen werden Felder, Wälder, Straßenränder und Werften zu Deponien für tausende Tonnen Hausmüll, der zu 70% aus Deutschland importiert wurde. Eine Folge dessen, dass man diese Müllberge nicht mehr auf andere (oft ärmere) Länder abwälzen kann. Das passt zu dem Gedanken, dass die aktuelle Pandemie zu einer verschärften Abfallkrise führt.
Jeder weiß, dass die Art und Weise, wie wir heute mit Produkten umgehen, geradezu beschämend ist, aber unser Verhalten hat sich dadurch nicht geändert. Die Dinge sind schlimmer als je zuvor. Jedes Jahr werfen wir weltweit nicht weniger als 2,12 Milliarden Tonnen Abfall weg. Wenn wir so weitermachen, wird diese Zahl bis 2050 um rund 70% steigen – mit enormen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Es ist also Zeit für eine radikale Umstellung. Die Art und Weise, wie wir Dinge herstellen, verkaufen und bewerten, muss sich drastisch ändern. Und Designer haben in diesem Zusammenhang eine große Verantwortung.
Heutzutage hält der durchschnittliche Konsumartikel etwa sechs Monate. Sechs Monate! Denken Sie an diese Zahl, wenn Sie durch Ihre örtliche Einkaufsstraße gehen, und Ihnen wird schlecht werden. Wir müssen uns außerdem auch mit der unsichtbaren ökologischen Katastrophe auseinandersetzen, die durch das Online-Shopping verursacht wird. Im letzten Jahr wurden unglaubliche Mengen an Kleidung und Konsumartikeln bestellt, anprobiert, benutzt und – ohne jede Scham – wieder zurückgeschickt. Niederländische und deutsche Verbraucher sind laut einer Studie von Kantar für die meisten Online-Retouren in Europa verantwortlich. Atemberaubende 50% der Verkäufe des deutschen Modehändlers Zalando werden zurückgeschickt. Die meisten dieser Produkte werden unverkäuflich und landen auf der Mülldeponie. Ein Grund für das exponentielle Wachstum in diesem destruktiven Sektor? Die Coronavirus-Krise.
Aber der eigentliche Grund für den Müllberg ist natürlich gar nicht die Coronavirus-Krise. Die Pandemie hält lediglich den riesigen sozialen und ökologischen Problemen unserer Zeit einen Spiegel vor. Die Probleme mit dem Müll gehören zu einem gigantischen, systematischen Phänomen, nach dem wir seit Jahrzehnten süchtig sind und das sich in Zukunft noch verschärfen wird: dem Konsumverhalten. Als Bürger und Konsumenten gibt es wenig bis gar keine Hindernisse, die uns vom Kaufen, Benutzen und – kurz gesagt Verschwenden – abhalten.
Dabei trägt nicht nur der Verbraucher die Schuld, sondern auch die Politik, der Produzent und der Designer. Der visionäre kanadische Designer Bruce Mau hat es treffend auf den Punkt gebracht: »Design hat uns in diesen Schlamassel geführt, jetzt muss Design uns auch wieder herausholen.«
Als Designer finde ich es äußerst schmerzhaft zu sehen, wie wir als Gesellschaft mit Produkten und Rohstoffen umgehen. Das muss sich ändern! Und ich selbst muss auch Verantwortung übernehmen. Historisch gesehen sind es die Designer, die Überproduktion, Raubbau und Konsum begünstigt haben, während sie gleichzeitig eine nicht enden wollende Suche nach Innovationen anregten. Die »Verführungskraft des Designs« ist ein bekanntes Phänomen in der Branche. Man kann Design nutzen, um Menschen zu verführen; im Guten wie im Schlechten.
Die Tatsache, dass Designer zur halsbrecherischen Geschwindigkeit der Modeindustrie beigetragen haben (Ketten wie H&M erneuern ihre Kollektionen alle 6 Wochen!), oder eine ausufernde Markenbranche, die auf Wegwerfverpackungen, Einwegprodukten und bequemen Rückgabesystemen aufgebaut ist, sind nicht zu rechtfertigen. Als Branche und als kreative Gemeinschaft müssen wir die Ärmel hochkrempeln und uns verändern.
Designer sind in einer einzigartigen Position, um die Art und Weise, wie und woraus Dinge hergestellt werden, zu verändern. Eine wachsende Zahl von Kreativen hat bereits eine aktive Rolle beim Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft übernommen. Es gibt viele gute Beispiele: Wie Freitag, die beliebte Kuriertaschenserie der Grafikdesigner Markus und Daniel Freitag. Ihre Produkte sind so wiederverwertbar wie möglich und verwenden recycelte Lkw-Planen und Autosicherheitsgurte als Rohmaterial. Oder Soapbottle, eine innovative Art der Kosmetikverpackung, die zu 100% biologisch abbaubar und auflösbar ist. Ein weiteres spannendes Projekt ist das kürzlich gestartete B- Warenhaus, Berlins erstes Second-Hand-Kaufhaus und Reparaturzentrum. Diese Initiativen stimmen uns optimistisch, aber wir müssen noch weitere Schritte unternehmen. Die Design-Community muss sich jetzt mehr denn je trauen, die Führung zu übernehmen und ihr kreatives Potenzial en masse einzusetzen.
Als Leiter der designorientierten Organisation What Design Can Do werde ich die Initiative ergreifen und ein langfristiges Müllvermeidungs-Programm in den Niederlanden und anderen Ländern, darunter Brasilien, Mexiko, Kenia, Indien und Japan, ins Leben rufen. Dieses Program führen wir in enger Zusammenarbeit und mit großzügiger Unterstützung der IKEA Stiftung durch. Das Ganze beginnt mit einem globalen Design-Wettbewerb, für den ab heute Einsendungen möglich sind. Designer, kreative Unternehmer und Innovatoren – machen Sie mit! Es gilt keine Zeit zu verlieren.