Es gibt nur ein internationales Trickfilmfestival, das wirklich alles vereint, was das Genre ausmacht! Die besten Trickfilmschaffenden zeigen in der Hauptstadt des animierten Films, dem mittelalterlichen Annecy in den französischen Alpen, im Juni wieder ihre neuesten Werke. Nicht nur die Autorenfilmer mit Rang und Namen sind hier mit ihren unterschiedlichen künstlerischen Stilen vertreten, sondern auch die großen Trickfilm-Unternehmen aus Ost und West mit ihren großen cineastischen Mainstream-Produktionen. Hier findet der interessierte Festival-Goer alles, was das animierte Universum ausmacht. Auch Grafikmagazin-Autor Jürgen Keuneke verschaffte sich direkt in Annecy wieder einen Überblick über die aktuelle Trickfilm-Landschaft. Dabei besuchte er nicht nur die verschiedenen Wettbewerbsprogramme in Kurz- und Langfilm, sondern ebenfalls die angeschlossenen Trickfilmmesse MIFA, die dieses Jahr 40 Jahre alt wurde und die neuesten technischen Innovationen im Animationsfilm vorstellte.

Nicht nur der wachsende Erfolg von Animé-Filmen bei jungen Leuten und die wachsende bedienerfreundliche und einfachere Produktion von Animationsfilm durch Computer-Unterstützung sorgte dafür, dass diesmal 18.200 Badgeholder aus 118 verschiedenen Ländern vor Ort waren. Wieder fast tausend mehr Besucher als im Vorjahr! Um dem gerecht zu werden, gab es dieses Jahr mehr Kinos (u.a. Pathe 6 und Dome) für das Screening von Programmen. Das Festival-Angebot war mit Wettbewerbsfilmen, Premieren, Workshops, Ausblicken, Konferenzen und Ausstellungen überwältigend. Zudem lockten ja bei bestem Wetter auch die historische Stadt und der See (der klarste Bergsee der Savoie-Region). Ab dem dritten Festivaltag dann zusätzlich auch die Eröffnung der MIFA-Messe, die neben Ständen, Software-Vorstellungen, Merchandising, Jobbörsen und Filmhandel auch Networking-Möglichkeiten bereithielt.



Nicht zu vergessen: Ohne die 650 Freiwilligen, die auf dem gesamten Festivalgelände rund um das Bonlieu-Zentrum, in den verschiedenen Kinos, den Info-Ständen, den Ausstellungsräumen und dem MIFA-Gelände am Imperial-Palast ihren vielfältigen Organisationsaufgaben nachgingen, wäre so eine gigantische Veranstaltung nicht möglich gewesen. Doch CITIA-CEO Mickael Marin lobte auch die Offenheit, Toleranz und Kreativität der vielen Besucher des Festivals selbst, als er bei der Schlussveranstaltung im Bonlieu-Theater sein Fazit zog: »Rund um die geplanten einzelnen Veranstaltungen und Ereignisse unseres Festes der Animation ist unsere besondere Rezeptur das Lachen der Besucher, die gute Laune, die Begeisterung zwischen den Filmen, das emotionale Schweigen während der Screenings und passionierten Diskussionen der Festival-Goer am See! All das gibt diesem Festival seine ganz spezielle Bedeutung und Schönheit!«

Drei besondere Persönlichkeiten bekamen schon bei der Eröffnung des Festivals den großen Annecy-Award (Kristall) für ihr Trickfilm-Lebenswerk überreicht: Eingerahmt von den beiden männlichen Ikonen Matt Groening (Vater der »Simpsons«) und Michael Gondry (»L’écume des jours«) war es besonders die britische Trickfilmerin Joanna Quinn, die von den Zuschauern tosenden Beifall für ihr Schaffen erntete. Unvergessen ihre Frauenpower-Filme wie »Girls Night out« oder »Body Beautiful« mit dem unvergleichlichen Quinn-2D-Zeichenstil! Gondry präsentierte in Annecy diesmal sein neues Werk »Maya – Give me a Title«, das bereits auf der Berlinale 2025 in Berlin lief. Da Annecy dieses Jahr einen Scheinwerfer auf das Thema »Animation in Musik-Videos« warf, passte auch zu diesem Thema Michael Gondry als Star-Gast. Ist er doch bestens bekannt für seine Arbeit als Director in Zusammenarbeit mit Pop-Größen wie u.a. Björk, The White Stripes und Daft Punk.




Große Präsenz zeigten diesmal auf dem Festival amerikanische Majors. Vom 3D-CGI-Marktführer Pixar waren im Bonlieu-Center erste animierte Teile in Reinausführung vom kommenden Feature »Elio« zu sehen. Pixars Partner Disney Animation Studios gewährten einen ersten Blick auf »Zootopia 2«. Disney kündigte zudem eine von den Festival-Besuchern gefeierte Rückkehr zum eigentlichen eigenen Markenzeichen – dem handgezeichneten Zeichentrickfilm – an! Den hatte der Major 2011 zum Entsetzen der weltweiten Fan-Gemeinde komplett aufgegeben. Jetzt müssen bei Disney verdiente grauköpfige Animatoren aus dem Ruhestand zurückgeholt werden, um eine neue Generation von Trickfilm-Zeichnern neu zu schulen! Wettbewerber DreamWorks präsentierte fertige Ausschnitte von »Bad Guys 2« – zudem als fertiges Werk die Premiere vom CGI-unterstützten Kino-Realfilm »Drachenzähmen leichtgemacht« (»How to train your Dragon«).

Jedes Jahr zeigt Annecy einen aktuellen Überblick über das Trickfilmschaffen eines bestimmten Landes. Diesmal wurde der Scheinwerfer auf Ungarn und geworfen. Partner aus dem sogenannten »Gastgeberland« waren das Nationale ungarische Filminstitut, das Institut Liszt und das einheimische Ungarn-Kulturcenter Paris. Eingeladen waren aber auch unabhängige Autorenfilmer des Landes, die sich vom Staat Ungarn aus Angst vor umfangreicher staatlicher Zensur nicht fördern lassen wollen. Festival-Director Jean wies besonders darauf hin, dass das Annecy-Festival hier in seinen Entscheidungen für die Programmgestaltung frei und unabhängig bleiben wolle und keine politischen Vorschriften der Regierung Orban dulde.





Die Trickfilm-Ausbildung war immer schon ein Schlüssel für die Existenz des Festivals in den französischen Alpen. 24 Prozent der diesjährigen Festival-Goer waren wieder Studentinnen und Studenten. Viele kamen das erste Mal und werden sicherlich wiederkehren in den nächsten Jahren. Auch wenn das Leben hier im touristischen Städtchen mittlerweile recht teuer geworden ist – gerade in der Festival-Woche. Wer sich von den Studierenden die Nacht im Hotel oder Privatzimmer nicht leisten kann, kommt günstig auf dem städtischen Belvedere-Campingplatz unter. Die normalen Wohnmobilisten müssen den idyllischen Platz hoch über Stadt und See dann verlassen und weichen einer sich rasch aufbauenden Zelt-Stadt der jungen Trickfilmschaffenden. Aber nicht nur die akkreditierten Studenten möchten die schönsten Festival-Highlights erleben vor den großen Leinwänden. Zu oft sind die Plätze von den Trickfilm-Interessierten schnell ausgebucht!.


Geduld zählt sich dann aus, nicht nur beim Trickfilm-Nachwuchs. Festival-Director Jean hat hier einen Rat. Besonders für Neulinge, die während des Festivals die Geduld nicht verlieren sollten. »Wenn Du wirklich etwas sehen willst und keinen Platz mehr bei der Reservierung erhalten hast, einfach nicht aufgeben! Komm´ rechtzeitig für die obligatorische Annecy-Festival-Warteschlange! Eine Stunde und früher solltest du da sein. Es gibt dort jede Menge Kommunikation zwischen den Besuchern gratis! Dort kannst Du die besten Infos und Tipps bekommen von den ebenfalls wartenden Fachleuten. Quasi Akquise und Networking gratis! Typisch Annecy Festival.« Überall zeichnen Trickfilmschaffende in ihrer Wartezeit vor den Kino-Eingängen. Üben sich in Skizzen, Porträts, künstlerischen Studien. Verschenken ihre Werke an andere Wartende! Give Aways zwischendurch als Andenken an eine schöne und kreative Woche in Annecy.

Das Annecy-Festival 2025 begann übrigens diesmal mit dem Start der Programm-Buchungsmöglichkeiten etwas unglücklich. Denn das Onlinesystem stürzte erst einmal durch einen Bot-Angriff von außen ab. Hunderte von Anfragen innerhalb von Sekunden für bestimmte Programme machten eine Restaurierung der Plattform notwendig. Erstmalig in der Geschichte des Festivals. Hier zahlte sich aber aus, dass es für die vielen Bagdeholder unterschiedliche Kategorien der Zuteilung gibt. Die Buchungen konnten schließlich ohne Komplikationen abgeschlossen und verteilt werden.



Eines der Highlights des diesjährigen Events war die Uraufführung der neu als Animationsfilm umgesetzten Version von »Animal Farm« – der weltbekannten Novelle von George Orwell. Verantwortlich für die Neu-Interpretation ist niemand anderes als Andy Serkis, der sich nach seiner Schauspieler-Karriere (»Herr der Ringe«/ »Hobbit«/ »Planet der Affen« etc.) in den letzten Jahren besonders einen Namen als Regisseur gemacht hat. Andy präsentierte die Premiere des fertiggestellten Werks selbst im Bonlieu – das große Theater hätte beim großen Zuschauer-Andrang mehrmals ausgebucht sein können! 2012 hatte Serkis mit seinem Partner Jonathan Cavendish die Rechte für den Film von den Orwell-Nachkommen erworben und wollte die Story in die heutige Zeit transportieren. Parallel zu »Planet of the Apes« arbeitete er sofort am Film, der anfangs noch nicht als reiner Animationsfilm geplant war. Performance Capture und Motion-Capture durch Computerunterstützung sollten es dann auf jeden Fall sein. Reiner Zeichenrickfilm-Look wurde nach anfänglichen Versuchen ausgeschlossen. Serkis wollte kein märchenhaftes Werk, sondern eines mit Realität und Perspektive. »Man sollte beispielsweise das Gewicht der Schweine im Film sehen und spüren. Wenn sie durch den Schlamm laufen, versinken sie regelrecht im Matsch!« Verschiedenen Produktionshäusern wurde der langsam wachsende Film über Jahre angeboten, bis er 2018 bei Netflix landete. Das Unternehmen erkannte aber nicht das Potential des Werks für das Streaming. So wurde es schließlich durch die Umsetzung von Imaginarium/ Aniventure ein großartiger Langfilm mit Kino-Qualität. Durch die langjährige Arbeitszeit von 2012 bis 2025 ist die Umsetzung auch mit aktuellem politischen Hintergrund garniert. Die Figur »Napoleon«, der bekannte Herrscher der Schweine auf der Farm, erinnert durch sein Agieren und Outfit doch sehr stark an Donald Trump. Serkis lobte bei der Vorstellung besonders Filmpartner Aniventure, die ihm bei der Umsetzung des Films freie Hand gelassen hätten. »Das ist in der heutigen Zeit sehr selten«, so Serkis. »Ich kenne mittlerweile genug andere Film-Unternehmen, die das nicht zulassen und angstgetriebene Entscheidungen fällen. Jeder Film soll seine Produktionskosten sofort wieder einspielen. Meine Partner waren mutig, daher konnten wir eine stimmige Umsetzung des Stoffes in neuem Gewand schaffen!«

Groß gefeiert wurde in Annecy diesmal auch, denn die Trickfilmmesse MIFA zelebrierte ihren 40. Geburtstag! Film-Einkäufer der TV-Anstalten, Softwarehersteller, Fernsehanstalten, Produzenten, Unternehmen, Hochschulen, Autoren, Filmemacher und Headhunter gaben sich hier die Hand und kommunizierten auf dem großen Gelände zwischen Imperial-Palast und dem Seeufer. Neue Projekte wurden den Vertretern aus mehr als 100 Ländern vorgestellt. Länder wie Australien, Neuseeland, Vietnam, Schottland, Bangladesh, Costa Rica und Kosovo hatten erstmalig einen großen Messe-Stand. Die deutschen Vertreter von German Films, German Animation und der Kurzfilm AG veranstalteten wieder den »Deutschen Empfang« am Dienstag der Annecy-Woche und luden ganz originell einen Tag später Festival-Goer zu einem »Animation-Picknick« am Seeufer ein. Stark vertreten auf der MIFA war 2025 Japan – in Nachbarschaft mit Ständen aus China und Südkorea. Auch hier wurde deutlich, dass der Markt für Animé-Filme deutlich wächst.


Deutschland war in Annecy mit mehreren Filmen vertreten, konnte aber in den Wettbewerben die Annecy-Jurys – bis auf den den Bereich der TV-Serien – nicht entscheidend beeindrucken. Viel Lob und Aufmerksamkeit bekamen aber besonders das Feature von Heinrich Sabl (»Memory Hotel«) und der animierte Unterwasser-Kurzfilm »9 Millionen Farben« von Bara Anna. Im Off Limits- und Perspektives-Shortfilmprogramm bekamen »Gerhard« von Ulu Braun und »All this Death« von Fadi Syriani viel Beifall. »Gerhard« war insofern außergewöhnlich, weil Ulu Braun bei der Entstehung des Films KI eingesetzt hatte. Ein großes aktuelles Thema im Filmschaffen, heiß diskutiert vom Fachpublikum des Festivals und auf der MIFA! Das sicherlich zukünftig im Kontext von Vergleichbarkeit der Wettbewerbskriterien auch eine Herausforderung für die Annecy-Jurys werden wird!

Auch VR bleibt ein großes Gesprächsthema, hat aber bereits seinen eigenständigen Wettbewerb im Annecy-Programm. Der deutsche Filmemacher Pedro Harres, im Vorjahr mit einem Award für seine VR-Arbeit ausgezeichnet, präsentierte diesmal auf der MIFA sein neues Projekt »LaLaLabyrinth«. An seiner Stelle starteten 2025 im Wettbewerb »VR Works« Aria Wolf und Janina Zlotos für Deutschland mit dem VR-Film »Lichtung« (Filmakademie Baden-Württemberg), der aber schließlich ohne Auszeichnung blieb.





Das Festival wurde mit der großen Vergabe-Zeremonie der Awards abgeschlossen. Besonders wichtig waren die großen Preise für Kurz- und Langfilm. Hier gewann in der Langfilm-Kategorie den Kristall für Feature-Film Ugo Bienvenu (Frankreich/2D-Zeichentrick) für »Arco«. Der Grimault-Award ging an »Dandelion’s Odyssey« von Momoko Seto (Belgien/ verschiedene Animation-Techniken). Für das Feature »ChaO«, eines der überraschend starken Animé-Werke in Annecy 2025, bekam Director Yasuhioro Aoki (Japan/ 2D-Zeichentrick) den Jury Award überreicht. Das Annecy-Publikum hatte sich für den Audience Award »Little Amelie or the Character of Rain« von Mailys Vallade und Liane-Cho Han (Frankreich/2D-Zeichentrick) ausgesucht. Aber auch in der Kategorie Kurzfilm gab es vielfältige Awards zu überreichen. Gleich mehrere Preise verdiente sich Pierre-Luc Granjon (Frankreich/2D-Bleistift-Zeichentrick) für seinen Short-Film »Night Boots«, gewann dabei den Kristall von Annecy.

Der Jury-Award für Shorts war diesmal die einzige Auszeichnung für einen amerikanischen Film (Michael Granberry/ Puppentrick). Auch die Studenten-Filme hatten in Annecy ihren besondern Platz im Wettbewerb mit einem eigenen großen Award. Dieses Jahr ging der Kristall für den besten Debut-Short an Lena Martinez (Frankreich) mit »Zootrope« (2D-Zeichentrick). Martin Bonnin (Frankreich) wurde für »Between the Gaps« (2D/3D-CGI) mit dem Jury-Award für Studentenfilm bedacht. Preisträger im Bereich VR war Ondrej Moravec (Tschechische Republik) mit »Fragile Home« (3D-CGI). Auch für den besten Video-Clip war ein Kristall vorgesehen, den die Jury an Lola Lefevre (Frankreich/ 2D-Zeichentrick) überreichte. Sie hatte das Musikvideo »Naive New Beaters« für die Pop-Gruppe Ye Kou si Kuo produziert.


Dieses Jahr wurde in Annecy nur eine einzige deutsche Produktion mit einem Award bedacht. Der Jurypreis für eine TV-Serie wurde der Regisseurin Elena Walf der Stuttgarter Trickfilmschmiede Studio Film Bilder für die Serie »Lenas Hof« (»Lena’s Nest«) verliehen. Die Reihe wurde in Koproduktion mit Minya Film aus Zagreb und dem ZDF produziert (Producer: Thomas Meyer-Herrmann). Die Trickfilm-Serie besteht aus 26 Episoden mit einer Laufzeit von je 5 Minuten und 40 Sekunden, die alle auch als eigenständige Kurzfilme funktionieren. Zielgruppe der Shorts sind Kinder im Vorschulalter und ihre Familien, sie beschreiben das bunte Zusammenleben auf einem Bauernhof mit all seinen unterschiedlichen Tier-Charakteren. Regisseurin Elena Walf hat die tierischen Beziehungen mit Empathie und Humor in poetische Geschichten und liebevoll gezeichnete Bilder in einem originellen klassischen Zeichentrickfilm-Stil umgesetzt.





Zum Abschluss des Festivals konnte Director Marcel Jean noch die große Neuigkeit verkünden, dass gerade zentral in Annecy ein neuer beeindruckender Ort gebaut wird, der zukünftig das ganze Jahr außerhalb der jährlichen Festival-Woche jeden Besucher der Stadt mit Aktionen/Screenings/Ausstellungen daran erinnern soll, Zeit in der Welt-Hauptstadt des Animationsfilms zu verbringen! Jean hatte diesmal mit ausgesuchten Gästen während des Festivals schon die Baustelle besucht, auf der dieses neue Trickfilm-Mekka aktuell entsteht. Auch ein weiteres Groß-Kino mit vielen Plätzen wird dort eingerichtet, das vielleicht schon nächstes Jahr bei sicherlich erneut wachsender Besucherzahl des Festivals zusätzliche Zuschauer aufnehmen kann. Au revoir 2026, Annecy-Festival!
Autor: Jürgen Keuneke

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