Das Buch »Der erste Eindruck zählt!« vermittelt ein grundlegendes Verständnis für Schriftauswahl, richtiges Spationieren und Mikrotypografie. Die österreichische Grafikdesignerin Sabrina Öttl hat es als typografischen Grundkurs angelegt und richtet sich damit vor allem an Nachwuchskreative und Studierende. Wir haben uns für die aktuelle Ausgabe mit ihr darüber unterhalten.

Sabrina, du schreibst selbst in deinem Intro, dass die wichtigste Aufgabe der Typografie ist, die richtigen Fragen zu stellen. Wie hast du diese Fragen entschlüsselt? Welche ist dir die liebste?
Wichtig sind für mich alle Fragen, die mir helfen, ein Verständnis für ein Projekt aufzubauen. Diese aufschlussreichen Fragen zu stellen, ist oftmals gar nicht so leicht. Typografie hat verschiedene Aufgaben und es gibt dementsprechend viele Aspekte, die bei einem Projekt beachtet werden müssen: Vorgaben von Kund:innen, Bedürfnisse von Betrachter:innen, Inhalt, Kontext, Budget, technische Rahmenbedingungen etc. Die Frage, die mir bei jedem neuen Projekt zu Beginn hilft, meine Gedanken zu sortieren, ist für mich: Wer liest was, warum, wie und wo? In meinem Buch kommt diese Frage auch an mehreren Stellen vor. Wenn ich Schritt für Schritt die einzelnen Teile dieser Frage beantworte, erhalte ich Auskunft über die Menschen, für die ich gestalte, die Art des zu gestaltenden Inhalts, die Motivation der Lesenden, die Leseumstände und den Leseort. Diese Antworten zu kennen sind wesentlich für mich, weil ich nur so Absichten steuern kann und auch nur so schlüssig anderen meine Gestaltung vermitteln kann. Mein liebster Teil dieser Frage ist für mich übrigens der, der die meisten Menschen durchs ständige Wiederholen manchmal wahnsinnig macht, aber auch sehr viele Zusammenhänge erklärt: Warum?

Dein Buch kann wie ein Kurs gelesen werden. Hast du deine eigene Unizeit an der FH Joanneum als ungenügend vorbereitet empfunden und hat dir Input gefehlt, oder weshalb war es dir ein Bedürfnis, diese kompakte Anleitung zu schreiben?
Nein, das Buch soll keine Antwort auf eine ungenügende Vorbereitung sein. Ich bin an der FH Joanneum sehr breit ausgebildet worden und ich habe vieles gelernt, das mir heute zugutekommt. Durch die vielseitige Ausbildung kam für mich Typografie aber leider einfach etwas zu kurz. In einem Semester wäre es auch nie möglich gewesen, in dem Umfang, wie es im Buch beschrieben ist, das Handwerk der Typografie zu erlernen. Ich habe die Zeit in Graz dennoch immer als inspirierend empfunden, weil ich gestalterisches Denken gelernt habe und wir immerzu ermutigt wurden, unseren Interessen nachzugehen. Genau das habe ich mit diesem Buch auch gemacht.
Durch den Austausch mit anderen Gestaltenden habe ich festgestellt, dass es vielen ebenfalls so erging, dass die Typografie eines unter vielen Fächern in ihrer Ausbildung war. Mir war es folglich ein Bedürfnis, ein Buch für die eigenständige Wissensaneignung zu machen. Nicht nur für Studierende in Gestaltungsstudiengängen, sondern für alle, die sich mit Typografie befassen wollen. Ein Buch, das nicht nur Beispiele zeigt und erklärt, welche Aspekte es in der Typografie gibt und wie Typografie sein soll, sondern vor allem die Hintergründe und die Anwendung miteinbezieht. Warum ist Typografie so, wie sie ist und wie setze ich das dann heute am Computer auch um. Die einzelnen Kapitel im Buch sind deshalb aufeinander aufbauend. So soll ein runder Ablauf entstehen. Vom einzelnen Buchstaben bis hin zur Gestaltung von Raum.
Am Ende des Buches gibt es auch noch ein etwas anderes Register. Statt die sonst üblichen Stichworte aufzulisten und mit Seitenzahlen zu versehen, finden Leser:innen Fragen, die beim Gestalten zwangsläufig auftauchen. Zur Frage sind dann stichwortartig die jeweiligen Aspekte mit der entsprechenden Seitenzahl zum genaueren Nachlesen und Erinnern bestimmt. Das Buch soll also wirklich ein Buch fürs damit Arbeiten am Schreibtisch sein.
Wichtig war mir außerdem, dass das Buch sprachlich zugänglich ist. Vor allem ältere Bücher zur Typografie sind oft streng und mit einer für uns heute ungewohnt umständlichen Sprache geschrieben. Um sich zu vertiefen, empfehle ich trotzdem unbedingt, diese Bücher im Laufe der Ausbildung zu lesen. Ich glaube aber, dass gerade am Anfang, wenn sowieso alles noch so komplex erscheint, diese Bücher durch die mühsamere Sprache vielleicht nicht gerade motivieren, sich näher mit Typografie auseinanderzusetzen. »Der erste Eindruck zählt!« soll nicht belehren, es soll vermitteln und für gute und intelligente Typografie sensibilisieren.

Was sollte für dich einen guter Typografie-Kurs ausmachen in einem gestalterischen Studium?
Ein guter Typografie-Kurs sollte für mich die Studierende abholen und einen Ausblick darauf geben, was alles möglich ist. Mit Abholen meine ich motivieren und begeistern. Mir ist durchaus bewusst, dass nicht alle Studierende ihren Schwerpunkt auf Typografie legen wollen, weil man aber fast in jedem Gestaltungsbereich mit Schrift und damit mit Typografie in Berührung kommt, sollten zumindest grundlegende Kenntnisse mitgegeben werden. Mit Begeisterung geht das leichter. Ich wurde am Anfang, als ich begonnen habe, mich intensiver mit Typografie zu beschäftigen, oft gefragt, ob ich mir nicht einen lebendigeren, innovativeren Schwerpunkt suchen möchte, einen Bereich, in dem man auch etwas bewegen kann. Dieses Gefühl hatte ich aber nie.
Typografie ist für mich kein verstaubtes, starres Handwerk. Typografie ist für mich das Gestalten von Sprache und Sprache kann sehr viele Tonalitäten annehmen. Es ist wie bei jedem Handwerk wichtig, die Regeln zu kennen, damit man weiß, warum und wann man davon abweichen kann. Wichtig ist es aber auch zu verstehen, wozu diese Sorgfalt wichtig ist und wie man einer Gestaltung durch Typografie eine Bedeutung gibt. Die schönsten Rückmeldungen, die ich von Kund:innen erhalten habe, sind, dass sie zwar nicht wissen wieso, aber es ihnen richtig Freude macht, einen von mir gestalteten Text zu lesen. Genau das macht Typografie aus. Wir arbeiten oft mit Unsichtbarem, wir gestalten die Weißräume dazwischen. Aber genau dieses dazwischen wirkt. Ich finde, dieses Verständnis, das Typografie Hand- und Kopfarbeit ist, sollte in einem guten Typografie-Kurs vermittelt werden.

Könntest du dir selbst vorstellen, als Dozentin Typografie zu vermitteln?
Ja, das kann ich mir durchaus vorstellen. Ich habe unter anderem auch aus diesem Grund beschlossen, noch ein Masterstudium zu machen. Seit diesem Frühjahr studiere ich deshalb Visual Communication an der Zürcher Hochschule der Künste. In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich gerade intensiv mit den Aspekten, wie Typografie in der Buchgestaltung zur Wissensvermittlung beiträgt, dass Texte nicht nur lesbar, sondern greifbarer werden und somit das Lernen mit Büchern erleichtern. Ich möchte also gerne dieses Spannungsfeld zwischen Systematik und Intuition in der Typografie noch besser verstehen, um diese Kopfarbeit dann auch verständlicher vermitteln zu können.
Wie kam der Kontakt zum Hermann Schmidt Verlag zustande bzw. wie ist der Verlag auf dich aufmerksam geworden?
Der Kontakt kam zustande, weil ich mich im Frühjahr 2017 bei ihrem sogenannten Mappentag vorgestellt habe. Durch Social Media bin ich auf diese Möglichkeit aufmerksam geworden und bin dann einfach mit meiner Bachelorarbeit, in der es um Lesbarkeit und Schriftwahl ging, hingefahren. Karin und Bertram Schmidt-Friderichs haben zu diesem Zeitpunkt gerade an einem Buch zur Lesbarkeit gearbeitet. Ich konnte sie daher nicht für die direkte Veröffentlichung meiner Bachelorarbeit, dafür generell für mich und meinen Zugang zur Typografie begeistern.
Sie haben den Wunsch geäußert, dass sie gerne eine aktuellere, weitergedachte Version ihres erfolgreichen Buches »Erste Hilfe in Typografie« von Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman hätten und gefragt, ob ich Interesse hätte, so eines zu schreiben und zu gestalten. So hat die Zusammenarbeit begonnen. Schrittweise ging es dann mit einem ersten Konzept, einem Probekapitel und einem Gestaltungsentwurf in einem Pingpong hin und her, um zu sehen, ob wir auch die gleichen Vorstellungen haben. Diese ersten Ideen waren für beide Seiten sehr stimmig. Weil ich nebenbei immer Vollzeit gearbeitet habe, hat es etwas gedauert, aber nach 3,5 Jahren ist dann im direkten Austausch mit Bertram Schmidt-Friderichs »Der erste Eindruck zählt!« entstanden.

Du zitierst im Buch Zuzana Licko »We read best what we read most.« Was liest du selbst gern?
Neben Büchern zur Typografie lese ich viel über Sprache, Geschichte, Gesellschaft und Kultur – im weitesten Sinne also Bücher, die mir ein Stück weit unsere Welt erklären und mir neue Betrachtungsweisen geben. Als visuelle Gestalterin greife ich mit meiner Arbeit ja tagtäglich in das Zustandekommen von Ansichten zu unserer Welt ein. Andere Sichtweisen als meine eigene zu kennen, helfen mir, achtsamer an Gestaltungsprozesse heranzugehen. Das Buch »Sprache und Sein« von Kübra Gümüsay liegt beispielsweise gerade ganz oben auf meinem Bücherstapel.
Am liebsten lese ich dabei die Bücher, die ich aufgrund von Empfehlungen aus einem guten, schon gelesenen Buch oder von meinem persönlichen Umfeld erhalte. Und wenn das Buch dann auch noch ansprechend und sorgfältig gestaltet ist, dann sowieso …
Zum Portfolio von Sabrina Öttl
Der erste Eindruck zählt!
Das Handwerk der Typografie verstehen und anwenden
Sabrina Öttl
Verlag Hermann Schmidt, Mainz
www.typografie.de
160 Seiten, fadengeheftete Broschur
Über 100 Grafiken, durchgehen in zwei Sonderfarben (dunkelblau und grasgrün) gedruckt
20,– €
ISBN 978-3-87439-908-1