Wer für Zeitungen und Magazine illustriert, muss sich schnell in Neues hineindenken können und auch dann treffende Motive finden, wenn das Thema fremd ist. Heute wird ein Kulturtext bebildert, Ende der Woche sind erneuerbare Energien dran, dann ein Sportereignis oder eine Netflix-Serie. Illustratorinnen und Illustratoren im Bereich Editorial gehören per Definition zu den Generalisten.
Aber gibt es auch gute Gründe, sich zu spezialisieren? Finden Menschen, denen eine bestimmte Thematik persönlich vertraut ist, vielleicht doch treffendere Bilder? Der Illustrator Sascha Düvel hat sich nach dem Studium auf Queer Editorial Illustration spezialisiert und sagt: »Diversity ist derzeit ein Trend. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es einen illustrativen Umgang mit LGBTQ+ gibt, der nicht nur im Zuge des aktuell modernen Phänomens entstanden ist.« Wir wollten mehr wissen …
Das Thema Diversity ist momentan nahezu überall präsent, in Kino und Fernsehen, in der Werbung, in der Bebilderung von Artikeln oder bei Spielzeug. Sie selbst beschäftigen sich aber schon viel länger mit dem Thema. Können Sie uns etwas zu Geschichte und Entwicklung von LGBTQ+-Illustration sagen?
Illustration von oder für LGBTQ+ Menschen gab es schon immer. Von mutigem Kampf für Rechte und Anerkennung bis hin zu Stilikonen, die Community-Themen noch mehr Medienpräsenz verschafft haben. Von versteckten Kritzeleien, bis hin zu Flugblättern oder Streetart. Aktuell befinden wir uns aber in der Zeit, nachdem die Einflüsse der Community immer stärker in Social-Media-Medien eingezogen sind und so LGBTQ+ zu einem viel größeren Thema gemacht haben, als jemals zuvor. Ich hoffe, dass als Teil dieser Entwicklung mehr Sichtbarkeit auch mehr Akzeptanz bedeutet.
Was genau ist LGBTQ+-Illustration? Geht es hierbei »nur« um eine thematische Fokussierung oder gibt es noch weitere Ebenen, die berührt werden?
Für mich bedeutet LGBTQ+-Illustration das Einschließen verschiedenster Einflüsse, Orientierungen und Meinungen. Diese Diversität, der Gemeinschaft und Community, sollte sich auf eine gewisse Art auch in der Illustration wiederfinden.
Wenn ich ganz speziell mit LGBTQ+ Inhalten umgehe, finde ich es wichtig auch aufklären zu können oder Situationen anzusprechen, die in weniger spezialisierten Medien nicht thematisiert werden. Ich möchte Lebensarten aufzeigen und durch Illustrationen eine Botschaft vermitteln, die man in anderen Medienformaten nicht unbedingt so wiederfinden würde.
Der Prozess beginnt damit zu verstehen, um welche spezielle Thematik es sich handelt und wie man mit dieser illustrativ umgehen kann. Ganz klar gibt es hier Überschneidungen, wir reden hier meist von Illustrationen über das Leben von Menschen und Situationen, die uns alle sehr ähnlich betreffen können – nicht von Dingen aus einer vollkommen anderen Welt. Gerade hier sollte Illustration
Gemeinsamkeiten aufzeigen und beim Betrachten neue Blickwinkel eröffnen.
Als das Gedicht, das Amanda Gorman zur Amtseinführung von Joe Biden vortrug, in andere Sprachen übersetzt werden sollte, gab es eine breite, teils hitzige Diskussion darüber, welche persönlichen Voraussetzungen die Übersetzer mit sich bringen müssten, um Gormans Erfahrungen akkurat widerspiegeln zu können. Sie selbst sind es als Illustrator gewohnt, sich immer wieder in neue Themen einzuarbeiten, neue Sichtweisen anzunehmen. Was ist Ihre Meinung dazu, kann man gewisse Inhalte nur dann angemessen um- oder übersetzen, wenn man die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie die Quelle?
Hier sollte meiner Meinung nach nicht pauschalisiert werden. Es gibt natürlich Menschen, die sich großartig in ein Thema einarbeiten und ein unglaubliches Verständnis aufbringen können. Dies erfordert trotzdem einen enormen Transfer von Wissen und Erfahrung vor der Kreation eines Werkes.
Die Chance, von einer Person Hilfestellung oder Anregung zu bekommen, die wohl möglich eine sehr ähnliche Situation durchgemacht hat, wird aber bestimmt höher sein. So zeigt diese Illustration vielleicht zwischen den problematischen Momenten einer Situation auch die kleinen Lichtblicke, die sich darin auftun können.
Umgekehrt gefragt, begegnen Ihnen öfter Darstellungen queeren Lebens, über die Sie sich ärgern und denken, da hätten sie mal lieber jemanden rangelassen, der etwas vom Thema versteht?
Ich habe oft den Eindruck, dass bei Illustrationen zu schnell in die Ausführung übergegangen wird. Warum sich nicht mal für die ersten Ideen ein wenig mehr Zeit nehmen und mit sich selbst in Verhandlung gehen? Nicht jede Skizze muss direkt die finale Illustration werden. Ein kreativer Prozess und das Beleuchten von verschiedenen Seiten hilft jeder Thematik. Wie führe ich aus? Was verkörpert das Thema am besten? Welche Art des Umgangs mit dem gewählten Medium hilft der Illustration am meisten beim Verständnis? Am Ende muss auch nicht jeder Satz wörtlich bebildert werden. Schön sind auch Metaphern oder überspitzte Sinnbilder.
Sie kommunizieren klar Ihre Spezialisierung auf LGBTG+-Illustration. Wird dieses Wissen vorwiegend innerhalb der Community nachgefragt oder nutzen es auch Mainstream-Kunden?
Inzwischen ist es auch für Mainstream-Medien immer wichtiger geworden, LGBTG+-Themen und damit auch spezialisierte Illustration zu bedienen. Ich sehe dies aber nicht als übergriffig, sondern freue mich über die Chance, dass so immer mehr Menschen mit Themen in Berührung kommen, die auch in der Community wichtig sind. Dies bedeutet, so hoffe ich, eine steigende Akzeptanz in der Bevölkerung.
In Deutschland tanzen Bürgermeister auf Gay Parades mit, Minister und Ministerinnen sind offen homosexuell und an den Schaufenstern großer Banken kleben Regenbogen-Aufkleber, so schlecht kann es um die Rechte der LGBTQ+ Community doch nicht bestellt sein, denken sicher viele. Wo gibt es Ihrer Meinung nach noch Nachholbedarf, wo liegen noch Dinge im Argen?
Hier möchte ich gar nicht unbedingt negativ werden. Ich freue mich, dass aktuell immer mehr Bezug zu unseren Thematiken genommen wird. Es entsteht so im besten Fall mehr Beachtung für kleine Gruppen, die sonst womöglich überhaupt nicht beachtet werden. Auch ist es schön, mehr Illustrationen und mehr Grafik aus dem LGBTQ+-Bereich entstehen zu sehen.
Ich hätte hier aber eine wichtige Bitte: Jeder sollte es wirklich ernst meinen und nicht nur den »bunten Aufkleber« nutzen wollen.
Als Illustrator, was wäre Ihr persönliches Traumprojekt, bezüglich LGBTQ+ oder ganz allgemein?
Da habe ich viele tolle Ideen bezüglich Illustrationen und Grafik. Ich glaube, so geht es jedem Illustrator. Von seitenlangen Editorials über Bücher und überspannenden, lebendigen Projektionsgrafiken. LGBTQ+-bezogen wäre es wohl eine große, illustrierte Poster-Kampagne. Flächig verteilt an Orten, wo diese Illustrationen auch von Menschen gesehen werden, die sonst vielleicht nicht so viel mit dem Thema in Kontakt kommen. WILD, BUNT, MUTIG und mit Ausrichtung auf eine positive ZUKUNFT.
Sascha Düvel arbeitet als Illustrator und Art Director und betreibt unter dem Namen tausendsasa in Münster sein eigenes Studio.
Im Grafikmagazin 01.22 ist eine seiner Arbeiten im »Schaufenster Illustration« vertreten auch das Grafik+ dieser Ausgabe widmet sich dem Thema Illustration.
Eine ganz andere Thematik, aber ebenso spannende Illustrationen finden Sie in unserem Interview mit Martin Stark.