In der Grafikmagazin-Redaktion haben wir ein Faible für die kleinen, feinen Projekte, die mit Liebe zum Detail umgesetzt werden. Doch natürlich faszinieren uns oft auch gigantische Ideen, hinter denen mannigfaltige Manpower, Verve und ein irrsinniger Output stecken. Ein gutes Beispiel hierfür ist Where We Stand, das in der Umsetzung 15 führende Kreativagenturen und Designer:innen vernetzte, um in Großstädten weltweit ein Zeichen gegen Isolation zu setzen.
Wie wir bereits in unserem Porträt des Projekts in unserer aktuellen Ausgabe schrieben, waren die jeweiligen Interventionen zumeist hypothetisch, doch bewiesen kollektive Kreativität in der Frage, wie öffentliche Räume von guter Gestaltung profitieren können, um den Anforderungen unserer neuen Normalität gerecht zu werden, in der die jeweilige Lokalpolitik durch Maßnahmen des Social Distancing teils absurde Navigationssysteme und Regeln schuf.
Klar ist mittlerweile wohl jedem, dass uns dieses Szenario noch eine Weile begleiten wird. Umso aktueller sind die Designansätze von Where We Stand noch immer. Denn sie bringen einen unglaublichen Zugewinn und kommunikative Qualität in urbane Räume – von Saigon über Singapur und Sidney bis San Francisco laden die Konzepte zu einem diskursiven, wenn auch distanzierten Miteinander ein. »Wir glauben, dass durchdachtes, intelligentes Design dazu beitragen kann und wird, die Städte, die wir lieben, wiederzubeleben«, so der Initiator David Michon, dem wir für diese Ausgabe einige Fragen stellen durften. Er arbeitet als Konzepter, Textchef und Produzent für namhafte Kunden und kollaborierte für Where We Stand mit Ask Us For Ideas, einer Plattform für Netzwerk-Matchmaking, die inspirierende Kreativagenturen der Branche miteinander verbindet.
David, was bedeutet öffentlicher Raum für dich persönlich?
Es überrascht nicht, dass der öffentliche Raum für die Identität einer Stadt von zentraler Bedeutung ist – ein Central Park, ein Trafalgar Square oder der Strand von Ipanema. Sie dienen als Bühne für Entspannung, zum Feiern, für Protest. Für mich als überzeugten Städteliebhaber sind die besten Orte diejenigen, an denen man das besondere Wesen einer Stadt beobachten, besser verstehen und in sich aufzunehmen kann. Aber in den ersten Monaten der Pandemie habe ich auch eine tiefe Wertschätzung für meinen benachbarten Park entwickelt – den Clissold Park im Norden Londons. Er bot mir eine Atempause vom Hausarrest und war ein Ort, an dem ich mit anderen Menschen zusammen sein konnte, wenn auch in großer Entfernung.
Hat die Pandemie deiner Meinung nach urbane Räume anders beeinflusst als ländliche oder weniger besiedelte Orte?
Absolut. Die Opfer von Stadtbewohner:innen haben oft mit Platz zu tun: kleinere (und qualitativ schlechtere) Häuser, keine Gärten. Im Gegenzug erhalten wir Zugang zu einer unglaublichen Sammlung von Annehmlichkeiten: Restaurants, Galerien, Clubs. Während der Pandemie wurden uns all diese Annehmlichkeiten genommen – abgesehen vom öffentlichen Raum. Und selbst der wurde eingeschränkt. Meines Erachtens war die Veränderung des Lebensstils auch auf dem Land drastisch, aber nicht ganz so drastisch wie bei uns in den Städten.
Die teilnehmenden Agenturen und Designer:innen haben mit ihrem kreativen Output Einfluss auf ihre jeweiligen Heimatstädte. Gibt es das Projekt in diesen Städten noch? Haben sie sich irgendwie entwickelt?
Die Projekte waren alle hypothetisch. Ihre Absicht war es, die Menschen zum Nachdenken darüber zu bringen, wie öffentliche Räume auf die Pandemie so reagieren könnten, dass ihr Wert widergespiegelt wird und Respekt erfährt. Einige Agenturen wurden daraufhin angesprochen, ob sie die Ideen auf die eine oder andere Weise wirklich umsetzen. Andere wurden ziemlich angegangen aufgrund ihrer Interpretation der ausgewählten Räume. Und das finde ich großartig – denn es beweist, dass sich die Leute dafür interessieren. Natürlich tun sie das!
Was nimmst du persönlich aus dem Projekt mit? Hättest du es gerne weitergeführt?
Das Projekt wurde durch die Beobachtung ins Leben gerufen, dass Städte, um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, Symbole für »Gefahr« zur Verhaltenssteuerung einsetzten – zum Beispiel Absperrband. Viel Absperrband. Es war traurig, die eingezäunten Freiräume in Städten zu sehen. Ich hatte das Gefühl, dass es einen besseren und beglückenderen Weg geben muss, zum Abstandhalten zu motivieren. Und so wandte ich mich an Kreativagenturen, um herauszufinden, wie der aussehen könnte.
Wie gehst du als kreativer Mensch damit um, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist? Was motiviert dich heute?
Ich bin sehr geprägt von meinem Umfeld und extrovertiert. Im Homeoffice zu arbeiten war sehr hart für mich – und ist es immer noch. Ich finde es uninspirierend, unmotivierend. Um dem etwas entgegenzusetzen, bin ich gerade von London nach Los Angeles umgezogen, weil ich Platz und offenen Himmel brauche, aber immer noch innerhalb einer Stadt. Das ist eine ziemlich extreme Bewältigungsstrategie.
Dennoch haben viele Menschen das Trauma dieser Pandemie dazu genutzt, alles zu überdenken und ein neues Kapitel für sich aufzuschlagen: eine neue Stadt suchen oder sich von Städten ganz abwenden, ein neues Baby, ein neuer Job. Vielleicht suchen wir alle nach einem Gefühl der Handlungsfähigkeit im Kontext dieser völlig überwältigenden Umstände.
An dieser Stelle möchten wir ausdrücklich zum Weiterklicken und Durchscrollen auf der Website von Where We Stand einladen.
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