In der Kommentarspalte der Kickstarter-Kampagne des Buchs »Visualizing Complexity« schreiben die Menschen aus Baltimore, Indien und Finnland. »Sieht umwerfend aus, ich bin so glücklich, dass ich dieses Projekt unterstützt habe«, freut sich Miki; es löse das Versprechen eines brauchbaren, zeitlosen Handbuchs für modulares Informationsdesign ein.
Für das Studio Superdot aus Basel scheint sich die immense Mühe gelohnt zu haben – Insights aus vielen Jahren Arbeitserfahrung in Design, Analyse und Beratung flossen in die Publikation. Für die aktuelle Ausgabe konnten wir Darjan Hil und Nicole Lachenmeier zu ihrer Leidenschaft für komplexe Sachverhalte und attraktives Data Design einige Fragen stellen.
Darjan und Nicole, wir starten mal ganz allgemein: Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Informationsdesigns?
Darjan: Ich wünsche mir, dass Informationsdesign als eine universelle Disziplin und Problemlösungsmethode erkannt wird, welche mittels Sichtbarmachen von verschiedensten Problemen automatisch auch zur Lösungsfindung maßgeblich beitragen kann. Dazu braucht es aber noch einiges an Umdenken und Schulen potenzieller Auftraggeber und von allen Designer:innen selbst.
Nicole: Dass sich mehr Designer:innen an Daten heranwagen und dass dadurch die Disziplin der Datenvisualisierung noch mehr im Design ankommt und nicht nur den Wissenschaftler:innen und Journalist:innen überlassen wird.
Euer Buch nimmt sich dieser Lücke an, ihr versammelt darin zehn Jahren Praxiserfahrung mit der Schnittstellendisziplin Informationsdesign. Warum ist zur jetzigen Zeit für euch das Thema besonders aktuell und relevant?
Darjan: Es hat einige Umwege und Projekterfahrungen gebraucht, um zu erkennen, dass sich unsere erfolgreiche Arbeitspraxis von den anderen Agenturen und von den Ansätzen in der aktuellen Literatur unterscheidet. Die aktuelle Literatur zum Thema der Datenvisualisierung ist sehr regelbasiert, genauso wie die heutigen Algorithmen, Bots und all die anderen Tools, die uns schnelle Lösungen versprechen.
Nicole: Wir wollen durch systematisches Entwerfen mit einem bewussten Einsatz von Elementen, ähnlich einem analogen Algorithmus, arbeiten. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum, systematisch Varianten zu bilden und dann zu beurteilen, ob es funktioniert.
Darjan: Es ist eine analytische Auseinandersetzung mit dem Material und den Werkzeugen, ähnlich wie es auch bei der Lehre des Bauhausbewegung war. Wir versuchen an unsere Studierenden weiterzugeben, dass die Daten der Rohstoff sind und das modulare Informationsdesign das Werkzeug, um diese ästhetisch darzustellen, ohne aber die Daten zu verfälschen.
Wie war eure Erfahrung mit der Kickstarter-Kampagne? Gab es einen sichtbaren Bedarf für euer Herzensanliegen?
Darjan: Es hat uns einiges an Mut abverlangt, uns zu überwinden, ein derart anderes Buch zu schreiben und dann dieses auch noch auf eine Plattform zu stellen, welche für den Vorverkauf von technologischen Gadgets bekannt geworden ist. Wir haben ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass so viele die Kickstarter-Kampagne unterstützen würden. Überrascht hat uns, dass wir innerhalb von 24 Stunden bereits 150 Bücher verkauften und das Kickstarter-Team in San Francisco uns als »Team’s Favorite Project« auswählte. Ab diesem Zeitpunkt ging es los. Nach vier Wochen hatten wir über 700 Unterstützer:innen aus über 30 Ländern.
Nicole: Die Kickstarter-Kampagne war eine tolle Möglichkeit zu überprüfen, ob es für Visualizing Complexity eine Community gibt. Zudem gehen wir als Agentur gerne neue Wege und hinterfragen damit auch mal vorhandene Strukturen. Aus meiner Sicht ist es elementar, dass die gegenwärtigen multiplen Krisen zusammen gedacht und nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Seht ihr es als Potenzial, dass die Menschen sich vermehrt über visuelle Quellen informieren, statt beispielsweise lange Zeitungstexte zu lesen?
Darjan: Absolut. Nicht unbedingt als nur positiv. Wir denken, dass Text und Bild eine schöne Koexistenz haben müssen und dass tiefgründige Visualisierungen etwas Zeit benötigen, um verstanden zu werden. Das Entdecken von neuen Erkenntnissen braucht eigene Denkarbeit und bleibt als Erfolgserlebnis viel länger im Gedächtnis haften. Wenn alles schnelllebiger wird, ist das nicht unbedingt vorteilhaft für mehrdimensionale Visualisierungen. Je schneller eine Visualisierung wirken soll, desto weniger Daten sollten verwendet werden.
Nicole: Die Herausforderung ist, die Aufmerksamkeit für eine Visualisierung zu bekommen. Da sind wir überzeugt, dass Ästhetik und Data Experience Design dabei helfen.
Die Freude an der korrekten, aber auch kreativen Arbeit – warum scheint es für Designer:innen hier so oft Probleme zu geben, beides zu kombinieren?
Darjan: Wenn sich Designer:innen wegbewegen von einer rein ästhetischen Umsetzungstätigkeit in die Position einer Schnittstelle, gibt es immer Rangkämpfe. Journalist:innen, Data Scientists, Statistiker:innen, Strategieberater:innen und viele andere Berufe wollen ihren Platz und ihre Expertise behaupten. Informationen zu visualisieren bedeutet hingegen, dass eventuell Lücken sichtbar werden. Dies kann als Angriff verstanden werden und verlangt von den Designer:innen Mut und Kommunikationsfähigkeiten. Designer:innen fehlt hingegen oft der Wortschatz in einer anderen Disziplin und dann wird der Raum nicht eingenommen, welcher uns zusteht, und zwar die Sachen zu hinterfragen und vermittelbar zu machen. Es ist einfacher, etwas zu dekorieren als gegen den Strom zu schwimmen und zu zeigen, dass etwas nicht ganz klar ist, denn für die anderen Menschen ist es dann wahrscheinlich auch nicht klar.
Euer Buch macht die Probe aufs Exempel und ist wahnsinnig schön aufbereitet. Wie lang habt ihr daran gearbeitet und wie seid ihr bei der Gestaltung vorgegangen?
Nicole: Von der ersten Skizze bis zum Punkt, an dem wir das Buch fertig gedruckt in der Hand halten durften, sind ziemlich genau zwei Jahre vergangen. Wir haben das ganze MID-System zuerst von Hand skizziert. Analog zu arbeiten entschleunigt und hilft uns beim Denken. Die Stunden, die wir dann in die digitale Feinarbeit gesteckt haben, haben wir irgendwann nicht mehr aufgeschrieben. Die Texte und das System haben wir gleichzeitig entwickelt, weil Text und Bild bei uns sehr stark zusammenhängen.
An welchen Projekten arbeitet ihr als Superdot gerade, bei denen euer Wissen zur Anwendung kommt?
Nicole: Momentan arbeiten wir wieder mehr im Webbereich und entwickeln unter anderem für eine Organisation eine Plattform, um die Daten von deren Partnerinstitutionen öffentlich zugänglich zu machen. Daten können auch Text sein, nicht nur Zahlen. Zudem experimentieren wir viel mit neuen Technologien und entwickeln für einen anderen Kunden eine Augmented-Reality-Anwendung für eine 3D-Visualisierung. Das MID-System unterstützt uns auch im digitalen Bereich, bewusste Designentscheidungen zu treffen und mehrdimensionale Informationsebenen in einen Zusammenhang zu bringen.
Darjan: Weiter arbeiten wir gerade in einem Projekt daran, eine Webplattform zu bauen, mit welcher sich die Bevölkerung mittels Datenvisualisierung Übersichten über laufende Projekte im Bereich der digitalen Transformation im Kanton informieren lassen kann.
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