»Einfach ist besser als kompliziert, leicht ist besser als schwer und Naheliegendes besser als Gesuchtes.« Dies sind knapp umrissen die Forderungen, die Dieter Rams, einer der weltweit renommiertesten Produktdesigner, an gutes Design stellt und nach deren Maßstab er seine eigenen Gestaltungen stets ausrichtete.
Manches ist einfach zu schade für die Schublade. 2004 gewährte Dieter Rams im Interview mit Christine Moosmann für das Design Indaba Magazine Einblicke in sein Schaffen. Was gutes Design ausmacht und worauf Gestalter achten sollten, ist heute noch ebenso aktuell und zeitgemäß …
Dieter Rams zählt zu den bekanntesten Industriedesignern Deutschlands und gilt als einer der großen Vertreter des Funktionalismus. Im Laufe seines jahrzehntelangen Schaffens erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. So ernannte ihn beispielsweise das Royal College of Arts in London zum »Royal Designer for Industry«und verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. Von der Industrial Designer Society of America erhielt er die »World Design Medal« und seine Arbeiten sind heute, als fester Bestandteil der Designkollektionen, in Museen wie dem MoMA in New York, dem Victoria & Albert Museum in London und dem Stedeljik Museum in Amsterdam zu sehen.
Der 1932 in Wiesbaden, Deutschland, geborene Dieter Rams kam bereits früh mit den Grundsätzen ökonomischen Gestaltens in Berührung. In der Schreinerwerkstatt seines Großvaters konnte er beobachten, wie große Sorgfalt bei der Materialwahl und Verarbeitung zu einer einfachen, aber funktionalen und nutzbringenden Gestaltung führen. Diese Erfahrungen beeinflußten Rams nachhaltig. Sie veranlassten ihn, einerseits beständig nach dem Einfachen und Schlichten zu streben und andererseits einen gestalterischen Beruf zu erlernen. Seine Wahl fiel zunächst auf Innenarchitektur und 1953 schloss Rams, nachdem er das Studium einige Jahre aufgrund einer Schreinerlehre unterbrochen hatte, an der Wiesbadener Werkkunstschule mit Diplom und Auszeichnung ab. Noch während der Ausbildung begann sich Rams mehr und mehr für Architektur zu begeistern – den Grundstein hierfür legte der Leiter der Werkkunstschule Prof. Dr. Dr. Söder, der eine Verbindung von Design und Architektur gezielt im schulischen Rahmen förderte.
Nach Abschluss des Studiums arbeitete Rams zunächst als Architekt und wurde in dieser Funktion 1955 von der Firma Braun angeworben. So begann im darauf folgenden Jahr seine unverwechselbare Karriere als Gestalter, denn während vieler Jahrzehnte blieben Dieter Rams Werdegang und großer Erfolg als Produktdesigner untrennbar mit den Geschicken der Firma Braun verknüpft.
Das Unternehmen wurde 1921 von dem Ingenieur Max Braun gegründet und machte sich vorwiegend mit Radiogeräten und Plattenspielern, später auch mit Rasierern und Küchengeräten einen Namen. Nachdem die Söhne Artur und Erwin Braun die Firmenleitung übernommen hatten, schlugen sie allerdings einen neuen Kurs in Sachen Kommunikation und Produktdesign ein und nahmen mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung Kontakt auf. Die Ulmer Dozenten Hans Gugelot und Otl Aicher entwickelten daraufhin im Rahmen der Hochschule Radio- und Phonogeräte, sowie Ausstellungssysteme und Kommunikationsmittel für Braun.
Von dieser Zusammenarbeit und vor allen Dingen von der grundsätzlichen Offenheit der Firmeninhaber in Sachen Gestaltung und Innovation, profitierte auch Dieter Rams. Obgleich er als Architekt für Braun arbeitete, wurde er schon bald mit Gestaltungsaufgaben im Produktbereich betraut und hatte im Laufe der Zeit Gelegenheit, eigene Mitarbeiter um sich zu scharen und sich Stück für Stück von den Einflüssen der Ulmer Hochschule zu lösen. 1961 war Rams bereits Leiter der Produktdesignabteilung, sieben Jahre später wurde er zum Geschäftsführer ernannt und Mitglied der Geschäftsleitung und schließlich 1988 zum Executive Director bestellt.
Unter Rams Ägide entstanden so in den Jahren bis 1997 bei Braun unzählige Produkte, die nicht nur mit einer Vielzahl von Preisen bedacht wurden, sondern Vorbildcharakter für Generationen nach ihnen hatten. So produzierte Braun beispielsweise Hifi-Anlagen im Baussteinprinzip oder brachte 1956 die Phono-Radiokombination SK 4 auf den Markt, die ihrem neuartigen Plexiglasdeckel den Spitznamen »Schneewittchensarg« verdankte. Modulare Systeme, die Werkstoffe Metall und Plastik, eine funktionsorientierte, reduzierte Gestaltung – all dies setzte neue Standards für hochwertige Elektronikprodukte. In einer Zeit, in der die Gesellschaft nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zwangsläufig mit vielen Veränderungen zurechtkommen mußte, hatten die Unternehmer Braun den Mut, auch im Produktdesign die ausgetretenen Pfade zu verlassen. In der Person von Dieter Rams fanden sie einen Gestalter, der mit seinem Streben nach dem Einfachen und Schlichten ihren Produkten eine unverwechselbare Gestalt verlieh und den Namen Braun zum Synonym für hohe Qualität und anspruchsvolle Gestaltung machte.
Für das Design Indaba Magazin gab Dieter Rams Auskunft über seine Maßstäbe für gutes Design, worauf Gestalter achten sollten und wie er Bedeutung und Zukunft des Designs einschätzt.
Herr Rams, spiegelte sich die allgemeine Stimmung Deutschlands in der Nachkriegszeit auch im Design wider?
Ja, diese Zeit war eine Anfangszeit. Wir alle hatten die Nase voll von der Verlogenheit der vergangenen Jahre und in dieser Aufbruchszeit war das Klima natürlich günstig, um im wahrsten Sinne des Wortes aufzuräumen. Und natürlich war auch die Neugründung der Ulmer Schule auf der Basis des Bauhauses entscheidend und beispielhaft. Meine Intention war es wie gesagt, wegzukommen von dieser Verlogenheit im Design. Und nicht nur im Design, in der Architektur, überall.
1955 kamen Sie dann zu Braun . . .
Ja, und in den ersten zwei, drei Monaten war ich eher mit Architekturaufgaben betraut. Sehr schnell wurden mir allerdings auch Industriedesignaufgaben angetragen. Die erste war der legendäre Schneewittchensarg, der zusammen mit Hans Gugelot und der Ulmer Hochschule gestaltet wurde.
Mit den Radiogeräten wurde Braun weltbekannt, wie wirkte sich das auf das Unternehmen aus?
Sie haben dazu beigetragen, dass Braun bekannter wurde. Nicht, dass sie ein finanzieller Erfolg waren, das kann man so nicht sagen. Sie mussten von anderen Produkten innerhalb des Unternehmens mitgetragen werden.
Sprich, das Geld wurde eigentlich mit anderen Produkten verdient?
Ja, die Butter auf dem Brot waren damals zum Beispiel die sogenannten »Hobbyblitz«, die ersten Blitzgeräte, die sich auch Amateure leisten konnten. Später kamen dann Haushaltsgeräte hinzu und erst Anfang der sechziger Jahre Rasierapparate. Aber die ganze Radiogeschichte, für die Braun bekannt war, war immer im roten Bereich. Die Neugestaltung dieser Geräte hat dann allerdings dazu beigetragen, dass Braun weltbekannt wurde.
Die Geräte waren zwar ungewöhnlich und erregten viel Aufmerksamkeit, sie verkauften sich aber nicht sonderlich gut?
Es gab zu wenige Meinungsbildner. In dieser Zeit mussten die Menschen ja erst zu gutem Design bekehrt werden. Man hat zwar sehr viel getan, um die Produkte zu präsentieren und bekannter zu machen. Geholfen hat aber vor allen Dingen, dass Braun sehr schnell, sehr viele Preise bekam. Biennale Mailand, Compassadore – diese Auszeichnungen haben Braun weltweit bekannt gemacht.
Konsumenten wissen gutes Design also nicht unbedingt zu schätzen?
Nicht automatisch, das kann man bis heute nicht sagen. Gutes Design muss immer auch durch gute Werbung unterstützt werden. Diese ist heute ja oft vordergründig und ziemlich katastrophal. Design müsste durch ehrliche Informationen besser vermittelt werden. Wenn Design heute bekannter geworden ist, dann meist durch spektakuläre Dinge, nicht durch gute, informative Beispiele.
Im Grunde genommen müsste der gesamte kulturelle Aspekt mehr einbezogen werden. Die Alltagskultur wird bei uns immer noch sehr vernachlässigt.
Aber hängt gutes Design nicht auch sehr davon ab, ob ein Gestalter einen Unternehmenspartner findet, der ihn unterstützt?
Natürlich, ich war von jeher überzeugt, dass gutes Design die Sache des gesamten Unternehmens ist und nicht nur die Sache einzelner Designer. Diese Überzeugung hat sich im Laufe der Jahre noch verstärkt.
Gutes, planvolles Design wird immer voraussetzungsvoller. Das hat nichts zu tun mit schneller, unverbindlicher Einkleidung eines Produktes. An jedem Produkt arbeiten viele mit und es enthält meist eine Vielzahl unterschiedlicher Bauteile. Die Dinge sollen einander oft widersprechende Funktionen erfüllen und dennoch ein Ganzes sein – ein Ganzes, das mehr ist als seine Teile. Diese Synthese zu erreichen, ist heute weitgehend die Aufgabe der Designer und Architekten.
Kann auch ein kleines Unternehmen etwas bewirken?
Ich habe da ein gutes Beispiel. Ich habe es Erwin Braun zu verdanken, dass er gesagt hat, lasst den Rams nebenbei doch noch Möbel machen. Das kann nur unseren Radiogeräten helfen.
Obwohl Braun damals gar keine Möbel herstellte?
Nein, nein, null. Aber die Radiogeräte waren technoider geworden und mussten in das Umfeld passen. Erwin Brauns Anliegen war immer, Geräte zu schaffen, die in Zusammenhang mit der jeweiligen Inneneinrichtung und den Häusern standen, in denen sie genutzt wurden.
Also Sie haben ein ganzes Möbelkonzept entworfen, das zu den Radios passte?
Ja, 1957 entstanden die ersten Möbelentwürfe für die Firma Vitsoe und Zapf, später Vitsoe. Diese Firma ist gewachsen und groß geworden mit den neuen Entwürfen, die ich für sie gemacht habe und existiert heute noch.
Auch kleinere Firmen können also durchaus mit Design groß werden. Nicht irrsinnig groß, aber sie können wachsen und vor allen Dingen gesund wachsen.
Durch hochwertige Gestaltung kann man sich also erfolgreich abheben?
Ja, wenn man sich darüber klar ist, daß man nur Nischen erreicht. Und es braucht Unternehmerpersönlichkeiten, so wie es Erwin Braun, Wilhelm Knoll oder Adriano Olivetti waren. Sie sind heute Mangelware, es gibt sie aber noch im Kleinen, jene Menschen, die unternehmerisch über den Tellerrand hinaus denken.
Designer müssen innovative Unternehmer an ihrer Seite haben, denn wir als Gestalter arbeiten ja nicht im luftleeren Raum.
Ist Design eine wirtschaftliche Größe?
Ich würde sagen, es ist keine wirtschaftliche Größe, aber wirtschaftlich bedeutend.
Gestaltung rückt immer mehr in den Vordergrund. Da die erreichbaren Technologien inzwischen für jeden fast gleich sind, bleibt nur noch das Design als Unterscheidungskriterium. Und Design ist populärer geworden, obwohl noch viel zu verbessern ist, was die Handhabung und den Gebrauchsnutzen angeht. Es gibt noch eine Menge zu tun, um Dinge begreifbarer und leichter bedienbar zu machen. Ich greife diesen Punkt auch in meinen Thesen auf: »Gutes Design macht ein Produkt verständlicher.«
Sie selbst sind ausgebildeter Architekt und wurden doch als Produktdesigner weltbekannt. Lassen sich die Gestaltungsprinzipien eines Bereiches ohne weiteres auf einen anderen übertragen?
Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen Architektur und anderen Designbereichen. Ich würde heute, in der Ausbildung sowieso, die Dinge zusammenlegen. Und obwohl ich den größten Teil meines beruflichen Daseins im Industriedesign verbracht habe, bereute ich es nie, Architektur als Background zu haben.
Aber inzwischen ist doch gerade Spezialisierung sehr gefragt …
Ich kann diese Spezialisierung, die sich inzwischen eingenistet hat, nicht empfehlen. Die Entwicklung neuer Technologien und Materialien wird immer größere Bedeutung bekommen und ich glaube, die Zukunft liegt im Technologiedesign und in der Interdisziplinarität.
Die Schönheit, die von zweckmäßigen Dingen ausgeht, gilt für die gesamte Alltagskultur und ist durchaus etwas, was heute wieder begriffen werden muß.
Von der Zukunft erwarte ich vor allen Dingen den, in ihrer Gesamtheit immer wichtiger werdenden ökonomischen und ökologischen Anforderungen gerecht zu werden! Kurz: Nachhaltigkeit im Einklang mit Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung.
Muss Design immer auch zum Positiven des Menschen beitragen?
Ja, auch dies eine meiner Thesen: »Weniger aber besser« verweist darauf, dass wir heute weniger Produkte brauchen, die die Kauflust immer aufs Neue reizen, kaum zu nutzen sind, weggeworfen werden und durch neue ersetzt werden. Wir brauchen weniger Produkte, die früh defekt sind, verschleißen und vorzeitig altern. Statt dessen brauchen wir mehr Dinge, die tatsächlich das sind und das leisten, was Benutzer von ihnen erwarten sollten: Erleichterung, Erweiterung und Intensivierung des Lebens.
Entnehmen Sie Ihre Inspirationen aus der Natur und Ihrer Umgebung?
Es ist unabdingbar, das man ständig mit ausgefahrenen Antennen umhergeht, man muss alles aufnehmen, nicht nur die Dinge, die uns die Natur immer wieder aufzeigt. Und gute Wiederholungen sind manchmal auch heilsam. Wir vergessen viel zu schnell und lernen schwer hinzu.
Was würden Sie jungen Gestaltern raten?
Wenn ein Gestalter nicht mit anderen zusammenarbeiten kann, gleich ob es sich um Ingenieure oder andere für die Produktion wichtige Menschen handelt, dann ist er schon verloren, dann nutzen all seine kreativen Ideen nichts.
Nur wenn ich anderen zuhöre und ihre Argumente aufnehme, werden sie auch bereit sein, meine Argumente aufzunehmen. So einfach ist das manchmal. Das ist also die größere Voraussetzung für junge Designer, natürlich brauchen sie auch Glück und im Designbereich vor allem Stehvermögen, so dass sie nicht gleich beim ersten Wind umfallen.
Ist der Inhalt wichtiger, als das Werkzeug oder die Art der Ausführung?
Ja und Nein. Noch so sorgfältiges Design wird unglaubwürdig und unwirksam, wenn die Technik ideenlos, die Fertigung unzulänglich oder die Werbung dafür albern ist. Wir stecken immer noch in einem Dilemma und auch das Design, denn es flüchtet sich oft in Oberflächlichkeiten und in vordergründige, modische Aspekte, die für kurze Zeit Aufmerksamkeit erzeugen, aber um so vergänglicher sind.
Was muss geschehen, damit Menschen das erkennen?
Ich frage mich immer, warum Menschen ihre Umwelt nicht bewusster erfassen, denn wir erleben eine zunehmende visuelle Umweltverschmutzung. Es stellt sich die Frage im Raum, mit wie viel Chaos können oder wollen wir in Zukunft leben. Gebrauchsgeräte, die Wohnung oder das Haus in dem wir leben und die Dinge, die wir brauchen, sollten so zurückhalten und unauffällig sein, dass man sie kaum wahrnimmt, solange man sie nicht braucht. Sie sollten sich neutral und zwanglos in jede Umgebung einfügen. So, dass sie nicht stören und man mit Freude mit ihnen umgeht.
Produkten diese ästhetische Qualität zu geben, ist und war keineswegs einfach, das muss immer wieder deutlich gemacht werden. Unauffälliges, neutrales Design ist kein Selbstzweck und kein Mangel, sondern ganz konkret ein Vorzug. Viele Gebraucher (nicht Verbraucher) – davon bin ich überzeugt – werden das verstehen.
Nicht zu vergessen ist auch die zeitlichen Dimension. Wieviel Verschwendung dürfen wir uns überhaupt noch leisten? Deshalb bin ich auch ein bisschen stolz darauf, dass die Dinge, für die ich verantwortlich war, zum großen Teil jetzt von Sammlern geschätzt werden und die Möbel noch heute in Gebrauch sind. Denn tatsächlich lässt sich Langlebigkeit nicht nur mit den Mitteln des Designs erreichen. Die Langlebigkeit setzt das Zusammenspiel von intelligenter Produktidee, gelungener Konstruktion, hoher Fertigungsqualität und durchdachtem Design voraus. Daraus wird ersichtlich, dass Design nur als Teil einer unternehmerischen Gesamtleistung wirklich erfolgreich sein kann.
Wenn Sie sich für die Zukunft wünschen dürften, dass etwas verschwindet, das es heute gibt, was wäre das?
Da habe ich eine ganz einfache Antwort: Das Spektakuläre. Das Verlogene.