Félix Betrán erlernte sein Handwerk in der Mad-Men-Ära in New York. Er arbeitete für einige der damals größten und angesagtesten Werbeagenturen und zu seinen Kollegen gehörten Designikonen wie Herbert Bayer und Milton Glaser. Doch in den Sechzigern zog es ihn zurück in sein Heimatland Kuba, wo er sein Können in den Dienst der Revolution stellte.
Félix Beltrán schuf wahrhaft revolutionäres Grafikdesign und gilt als einer der einflussreichsten Designer Lateinamerikas. Am 28. Dezember 2022 ist er in Mexiko verstorben. Hier lesen Sie ein Interview mit Sonia Díaz und Gabriel Martínez, die ein Jahr zuvor eine großartige Monografie zu Beltáns Werk veröffentlichten.
Man staunt manches Mal über die bewegten Biografien, die ältere Generationen hatten und auch das Leben von Félix Beltrán scheint eher aus einem Film als aus der Realität zu stammen. Mit nur 15 Jahren wurde der Kubaner in New York vom Chef der renommierten Werbeagentur McCann Erickson entdeckt. Er war Assistent von Herbert Matter an der Yale University, als Fellow der New School of Social Research lernte er Theodor Adorno, Herbert Marcuse und Erich Fromm kennen und als Art Director wurde er später von Bob Gill gefördert und arbeitete mit Designgrößen wie Herbert Bayer und Milton Glaser zusammen. Anfang der 1960er-Jahre kehrte er in die Heimat zurück, um mit seinen Mitteln die Revolution zu unterstützen.
In Kuba entwickelte Félix Beltrán aus seinem profunden Wissen um Gestaltung und Kommunikation und beeinflusst durch Beschränkungen im Land einen ganz eigenen Stil. Sein Mantra »simplify, simplify, simplify« war dem Mangel an Ressourcen in Kuba geschuldet, entsprang aber vor allem seiner Gestaltungsphilosophie, das zu kommunizieren, was wirklich essenziell ist. Félix Beltráns Arbeiten sind hochverdichtete visuelle Kommunikation und noch heute beispielhaft für das, was Grafikdesign ist und vor allem sein kann. Sonia Díaz und Gabriel Martínez, deren Biografien übrigens ähnlich illuster sind wie die von Félix Beltrán, dokumentierten das Werk und vor allem die Lehren des großartigen kubanischen Gestalters in der Monografie »Visual Intelligence«.
Was hat Ihr Interesse an Félix Beltráns Arbeit geweckt?
Sonia Díaz und Gabriel Martínez: Seine Erkenntnisse zu »Design in einem sozialen Sinn« und sein Vermögen zu Synthese und grafischer Präzision. Vom ersten Moment an waren wir fasziniert davon, hinter die Arbeiten zu schauen und herauszufinden, wie jene Experten des Grafikdesigns und der visuellen Kommunikation, die wir am meisten bewunderten, wirklich denken. In unserer umfangreichen Bibliothek befinden sich viele Bücher, die verschiedenen praktischen, theoretischen und pädagogischen Aspekten europäischer und nordamerikanischer Autoren gewidmet sind, Lateinamerika ist unterrepräsentiert. Auf der anderen Seite tauchte Félix in Büchern zur Geschichte des Grafikdesigns immer wieder als prominenter Vertreter auf, auch wenn er immer nur mit denselben zwei Plakaten und wenigen Logos aufgelistet wurde.
Der Schlüsselmoment kam für uns 2005, als wir die Gelegenheit bekamen, ihn persönlich zu treffen, und eine enge Beziehung aufbauen konnten, aus der verschiedene Ausstellungen und Vorträge hervorgingen. Auf diese Art entdeckten wir seine Arbeit, die zu einem guten Teil unbekannt ist, und hatten das Gefühl, dass es wichtig ist, eine Monografie zu erstellen, die all sein Werk und seine Beiträge zur Designlehre zusammenträgt und sie so vor dem Vergessen bewahrt.
Designer wie Wim Crouwel und Milton Glaser schätzten Félix Beltrán sehr, für viele jüngere Kreative wird er aber eine Neuentdeckung sein. Warum sind Félix’ Designs und Lehren heute noch so relevant?
Die Bedeutung seiner Arbeiten liegt darin begründet, dass Félix ein sehr zeitloser Gestalter ist, aber eben auch sehr stark seiner Zeit verhaftet ist und immer seinen Ideen treu geblieben ist, ohne sich von Moden oder Trends beeinflussen zu lassen. Sein Werk ist sehr didaktisch und einfach zu verstehen. Sein Motto »Einfachheit des Inhalts bedeutet Einfachheit der Form«, ist gerade heute sehr nützlich, da wir in einer Welt eines konstanten Flusses an Informationen und Fehlinformationen leben.
Wichtig ist auch die ethische Herangehensweise. Lektion 29 im Buch ist hier aufschlussreich: »Ergründe deine Stärken, verbessere deine Schwächen.« Unserer Meinung nach schlägt Félix vor, dass wir zwar handeln sollten, aber nicht vergessen dürfen, dass unsere Arbeit eine Bedeutung hat. Kreativität ist kein Selbstzweck, sondern eine Antwort auf ein spezielles Problem. Oder mit anderen Worten: Theorie ist das Resultat von klar definierten Zielen.
Félix stammt aus Kuba, aber seine Einflüsse kamen aus der ganzen Welt. Können Sie etwas über sein Leben und seinen Werdegang als Designer erzählen?
Beltrán studierte ab 1956 an der renommierten School of Visual Arts in New York und war ein Student von Bob Gill. Als Fellow der New School for Social Research hatte er Gelegenheit, Theodor Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Rudolf Arnheim, Alfred Schütz — ein Schüler Edmund Husserls — und Fred Kersten kennenzulernen. Und in New York arbeitete er auch mit solch illustren Personen wie Herbert Matter, Herbert Bayer, Louis Dorfsman, Paul Rand, Ivan Chermayeff und Milton Glaser zusammen. Ein weiterer Designer, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, war der Japaner Shigeo Fukuda.
Beeinflusst wurde er von solch unterschiedlichen Dingen wie der Schweizer Typografie, dem amerikanischen Modernismus, italienischem und japanischem Design, abstrakter Kunst und Pop Art. Er betont auch immer die Bedeutung der amerikanischen Werbung, bei der der Text extrem wichtig war, wie etwa bei den Arbeiten von DDB / Doyle Dane Bernbach. Doch zweifellos war der Einfluss von Bob Gill, dessen herausragender Schüler er war, aufgrund seines Vermögens zur Synthese und der grafischen Stärke der entscheidende für ihn.
Félix selbst sagte: »Es war sehr schwer, sich voll und ganz auf das Design zu konzentrieren, wenn es keine Farben gab, kein Papier und keinen Strom.« Wie war es, in Kuba ab den Sechzigerjahren zu arbeiten?
1962 kehrte Félix nach Kuba zurück, es gab keine Ressourcen und die Gestalter arbeiteten mit den Farben, die zur Verfügung standen, und schufen Designs, die subtil und symbolisch waren. Félix erzählt auch, dass die Plakate einfach sein mussten, nicht aus Überzeugung, sondern weil etwas anderes nicht möglich war.
Was Kuba anbelangt, so ist die Verwendung von Farbe ein sehr wichtiges Element, ebenso wie Fotografien mit hohem Kontrast, in denen die Schatten eliminiert wurden, was das Drucken erleichterte. Als Konsequenz der technischen Einschränkungen wurde ein Stil erschaffen, der sich durch die Verwendung einfacher Ebenen definiert, durch kräftige Farben, scharfe Umrisse und Formen, die im Einklang mit dem waren, was sich drucktechnisch umsetzen ließ.
Félix war zeitweise der Chefdesigner der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei in Kuba und entwickelte zum Beispiel ausdrucksstarke Motive mit Aufrufen, Strom oder Öl zu sparen. War er eine politische Person, ein politischer Designer?
Als er nach Kuba zurückkehrte, begann er für die Revolution zu arbeiten und schuf einfache, direkte und symbolische Designs. Die Kommunikation sollte im Einklang mit der Realität der Unterentwicklung sein und die neue soziale Perspektive widerspiegeln. Denn nach Meinung von Félix ist in einem sozialistischen Staat, in dem der Staat und das Volk ein und dasselbe sind, jedes Plakat, gleich welches Thema es behandelt, immer ein soziales Plakat. Politik ist gleichbedeutend mit Kultur und kein Design kann unpolitisch sein oder kulturlos.
Durch das kubanische Design jener Zeit, so Félix, könne man die Ziele, die Ideologie, die wirtschaftlichen und politischen Perspektiven der Revolution erkennen. Denn in Kuba wurde eine neue Gesellschaft geschaffen.
Er selbst zeigte sich immer als umsichtig, präzise, systematisch und verantwortungsvoll in seinen Schlussfolgerungen und hatte eine Vision von Design, welches untrennbar mit der Revolution verbunden war. Die Art und Weise, wie er die Revolution gesehen hat, ist unmittelbar aus seiner Designpraxis heraus entstanden. Von unserem heutigen Standpunkt aus gesehen erscheint er als ein »Katalysator von Klarheit«, der immer zur sozialen, politischen, technologischen und kulturellen Speerspitze gehörte.
Es stimmt allerdings auch, dass er gegen Ende der Siebziger fühlte, dass die Revolution nicht funktionierte, und dieses Gefühl des Scheiterns verursachte eine enorme Leere in ihm. Die Umstände der Revolution und ihre zunehmend deutlicher werdenden Widersprüche führten zu einem tiefgreifenden Gefühl der Frustration, das ihn schließlich veranlasste, Kuba zu verlassen und nach Mexiko zu ziehen.
Félix unterrichtete auch viele Jahre. Welches waren Ihrer Meinung nach seine wichtigsten Beiträge zur Designlehre?
In den Siebzigern schrieb er drei wegweisende Bücher, welche Meilensteine in der Geschichte des iberoamerikanischen Designs sind. Diese Publikationen entstanden zur gleichen Zeit, als Félix seine Arbeiten schuf und Berühmtheit als Dozent an verschiedenen Schulen und Universitäten in Kuba und Mexiko erlangte. Andererseits manifestiert sich in ihnen sein tiefgreifendes Verständnis von sozialem und politischem Handeln. Er vermied Vorträge so weit wie möglich und bevorzugte eher eine Art von Mäeutik, eine sokratische Lehrmethode, die auf einem Dialog zwischen Lehrer und Schüler beruht, um über sein Werk zu reflektieren.
Wenn wir seinen größten didaktischen Beitrag hervorheben müssten, dann wäre es sicher »letragrafía«, ein Konzept, das er prägte und das besagt, dass Wörter ihrem Inhalt nicht widersprechen sollten und dass Buchstaben einen formalen Wert besitzen, der verschiedene Assoziationen impliziert. Buchstaben sind Formen und beziehen sich auf konstruktive Schemata, auf organisatorische Strukturen und räumliche Kompositionen, die visuelle Codes sozialer Kommunikation verstärken und betonen.
Nachdem Sie so viel gesehen und recherchiert haben, welche Arbeiten von Félix Beltrán gefallen Ihnen selbst am besten?
Das ist schwer zu sagen, wir lieben all sein Werk. Aber es gibt zwei Arbeiten, die wir vorher noch nicht kannten und die zu Lieblingen geworden sind. Es sind das Plakat »Towards the study and deepening of Marxism« (1968) und das Cover von »System of Marxist studies of the MININT« (1972), denn sie sind perfekte Beispiele für Félix’ Philosophie: Vereinfachen, Vereinfachen, Vereinfachen.
Durch Design Lösungen zu entwickeln, ist heute vielleicht wichtiger als je zuvor und deshalb glauben wir, dass es für Studierende und uns als Designer ein großes Glück ist, auf das Wissen von Gestaltern zurückgreifen zu können, die bereits so viel Vorarbeit geleistet haben.
Félix Beltrán: Visual Intelligence
Sonia Díaz, Gabriel Martínez
Optik Books, www.optikbooks.de
360 Seiten, Text in Englisch
ISBN 978–3–9822542–3–4
38,– Euro, 44,– $
Dieses Interview erschien Anfang 2022 in der Ausgabe Grafikmagazin 01.22 mit dem Schwerpunkt »Illustration«.