Wie möchten wir in Zukunft leben? Diese Frage beschäftigt nicht nur Grafikdesigner:innen sondern ganz praktisch auch Architekt:innen. Hier stellen wir Ihnen drei Publikationen vor – einen visionären verlegerischen Beitrag aus dem Hause Taschen, ein ausgefuchstes Buch von Maximilien Pellegrini und eine detailverliebte Reihe zur Stadt Frankfurt –, die Belange der Architektur gestalterisch ausgezeichnet aufbereiten.
FORMGIVING
»The future is already here – it’s just not very evenly distributed.« Mit diesem Zitat von William Gibson läutet die Bjarke Ingels Group ihr neues Buch FORMGIVING ein. Und das dreht sich genau darum: die Zukunft und wie man sie in der Gegenwart möglichst gut verteilt.
Den Titel des im TASCHEN-Verlag erschienenen Buches erklärt Bjarke Ingels mit dem dänischen Begriff für Design, »formgivning«. Etwas eine Form geben, das noch keine besitzt. Gestalterisch die Zukunft formen. Er setzt damit also weitaus ambitionierter an, als sich lediglich mit rein architektonischen Themen zu befassen. Doch weil die Architektur als solche Raum für das gemeinsame Leben schafft, nimmt sie in seinem Kontext eine besonders wichtige Rolle ein.
Mit »Formgiving, an Architectural Future History« hat die Bjarke Ingels Group den letzten Teil seiner TASCHEN-Trilogie herausgebracht. Begonnen hatte sie mit »Yes is More, an Archicomic on Architectural Evolution«, einem der erfolgreichsten Architekturbücher seiner Generation. Als zweiten Band schrieb sie »Hot to Cold, an Odyssey of Architectural Adaption«. In der jetzigen Ausgabe soll es nochmal einen Rundumschlag geben, der sich sehen lassen kann: Nicht nur stellt der Autor über 700 Seiten seine persönliche Projektauswahl vor. Er gliedert sie auch nach sechs Evolutionssträngen, und stellt Prognosen und Leitfäden auf, die für das künftige Bauwesen gelten sollen. Dabei geht er sowohl auf Kultur, Klima, Landschaft sowie sämtliche Energien ein, die aus den Elementen gewonnen werden und in die Projekte einfließen – und durchaus auch auf andere Designbereiche angewandt werden können.
BIG. Formgiving. An Architectural Future History
Softcover, 16,3 x 25 cm, 1,98 kg, 736 Seiten
40 Euro
Das rein typografische Cover geht dabei wunderbar auf den Inhalt ein, der sich entlang einer Zeitleiste vom Urknall bis in die weite Ferne erstreckt. Leser:innen erhalten Einblicke in die Entstehung unserer Vergangenheit, aber auch zukunftsträchtige Entwicklungen. Die Bjarke Ingels Group präsentiert sich und ihr Wirken mit einer gewissen Unnachgiebigkeit, über das Gewöhnliche hinauszugehen. Sie möchte ihre architektonischen und gesellschaftlichen Visionen weit in die Zukunft strahlen lassen.
MASK Architects & Design
Schwerpunktmäßig ähnlich breit aufgestellt ist das türkische Studio MASK Architects. Für das Duo entwarf der Schweizer Grafikdesigner Maximilien Pelligrini ein Buch. »Unsere Designvision ist es, Wissenschaft, Architektur und Technologie im Bereich parametrisches und kinetisches Design zu kombinieren«, heißt es in deren Manifest. Als relevante Felder in ihrer Praxis nennen sie unter anderem Kinetik, Kunst, Interaktive Design und Technologie. Ihre gestalterische Philosophie basiert auf Magnetik im Design. Kein Wunder also, dass Danilo Petta und Öznur Pınar Çer für ihr Buch jemanden beauftragten, der sich Grafikdesign mit mathematischer Präzision widmet.
»Mein Ansatz ist es, die von der Architektur angebotenen Besonderheiten als Werkzeug zu verwenden. Ich möchte eine enge Analogie zwischen Grafikdesign und Architektur zu schaffen. Eine Parallele zwischen der allgemeinen Form und den Erfahrungen des Lesers.«, beschreibt Pellegrini. »Zu diesem Zweck dachte und konzipierte ich das Buch als ein architektonisches Stück an sich. Ein Haus, eine physische Konstruktion, die dem Leser die Möglichkeit bietet, eine räumliche und zeitliche Erfahrung zu machen.«
Das Buch beginnt also mit einem »Eingangssaal«, in dem sich ein Leporello als Index befindet. Für die Chronologie entwarf Pellegrini ein strenges System aus verschiedenen »Stockwerken«. Darin können Leser:innen Diagramme, Pläne und 3D-Renderings entdecken. Die Monographie präsentiert die Designprojekte sowie die theoretischen Missionen von MASK Architects & Design seit 2014. Zuletzt wurde das Studio vom European Center of European Architects and Designers als eins der »Europe 40 Under 40« ernannt.
Architekturführer Frankfurt
»Reden wir offen«, sagte Marcel Reich-Ranicki. »Wie immer wir es drehen und wenden, eine sympathische Stadt ist das Frankfurt unserer siebziger Jahre kaum. Es ist eine sachliche, nüchterne, unsentimentale, eine harte und wahrscheinlich auch brutale Stadt. Wohnlich ist sie nicht und gemütlich schon gar nicht. Kann man sich hier überhaupt wohlfühlen?«
Die Einschätzung des großen Literaturkritikers teilten sicher viele Menschen, schon nach Kriegsende prägten sich die »nüchternen und unsentimentalen« Aspekte im Stadtbild heraus und auch heute tut man sich schwer, Frankfurt schön und sympathisch zu finden. Auf ihre sperrige Art fasziniert die Stadt aber dennoch, vor allem in architektonischer Hinsicht, wie die Buchreihe »Architekturführer Frankfurt« zeigt. Herausgegeben wird die Reihe von Wilhelm Opatz zusammen mit dem Deutschen Werkbund und jeder der bisher erschienenen vier Bände beleuchtet jeweils ein Jahrzehnt. Nicht Masse stehe im Vordergrund, erklärt der Herausgeber und Grafikdesigner Wilhelm Opatz, sondern die Präsentation ausgewählter, interessanter Architektur. »Neben bekannten Bauten zeigen wir auch vergessene, fern der City gelegene Architektur – pro Jahrzehnt sind es immer nur 10 Gebäude (+ Bonus). Die Bauten der gesamten Reihe beschreibt ein Autor, Adrian Seib (mit gelegentlichen Gastbeiträgen von Autorinnen des Denkmalamtes) und ein Fotograf, Georg Dörr, fotografiert sie, meine Gestaltung wird von Band zu Band behutsam angepasst. Essays von unterschiedlichen Autoren spiegeln den Zeitgeist, durch Beiträge zu Design, Musik, Mode.«
Text: Almut Gehebe-Gernhardt
Das Schöne an der Reihe ist, dass man neben Bekanntem auch viele versteckte Schätze entdecken kann und durch die begleitenden Texte viel aus der jeweiligen Zeit erfährt, etwa über Politik, Stadtplanung oder die Hausbesetzerszene. Architektur entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern im jeweiligen sozialen, kulturellen und politischen Umfeld. In Frankfurt herrschte nach dem Krieg ein fast schon radikaler Fortschrittsglaube, der sich in der von Reich-Ranicki angesprochenen unsentimentalen Härte äußerte, aber eben auch immer wieder Bemerkenswertes hervorbrachte. »Es heißt, sie wäre spröde«, sagt Wilhelm Opatz, auf die Gestaltung seiner Bücher angesprochen. Vielleicht passt das Editorial Design deshalb so gut zum Inhalt. Wer es gern etwas verspielter mag, den versöhnt möglicherweise der leinengebundene und geprägte Umschlag, das hochwertige Inhaltspapier, das Lesebändchen.
Über die Brücke der Architektur erzählt die Reihe »Architekturführer Frankfurt« beginnend mit den fünfziger Jahren, die Geschichte einer ungewöhnlichen deutschen Großstadt und macht die Lektüre auch für all jene interessant, die weder in Frankfurt leben, noch Architekten sind.
Architekturführer Frankfurt 1980–1989
Wilhelm E. Opatz, Freunde Frankfurts (Hg.)
208 Seiten
Junius Verlag, Hamburg 2020
ISBN 978-3-96060-525-6
44 Euro
www.junius-verlag.de