Christopher Noelle befasst sich in seinen Bildern seit 2003 mit der Lightpainting Fotografie. Neben typografischer Umsetzung und Integration von 3D Elementen und Robotik spielt für ihn der transdisziplinäre Ansatz, also die Fusion verschiedener Techniken eine entscheidende Rolle in seiner Herangehensweise. Sein Portfolio umfasst sowohl freie als auch Auftragsarbeiten unterschiedlichster Art und mit seinem stetigen Forschungsdrang und neuen Denkansätzen schafft er es tatsächlich, die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt aufzuheben.
Wie sind Sie zum Lightpainting gekommen?
Als ich 2003 eine Graffiti-Doku in Berlin gedreht habe, haben mich einige Writer mit auf eine »Taschenlampen-Tour« genommen und ich fotografierte dabei die Lightpainting-Session, sozusagen »Virtual Graffiti«. Da ich mich schon lange davor mit Fotografie beschäftigte, wurde mir das Potential dieser Technik sofort klar und ich fing an, mich ausgiebig mit Lightpainting zu befassen und kontinuierlich zu experimentieren. Für mich war damals ausschlaggebend, damit eine legale Art gefunden zu haben, im öffentlichen Raum temporäre Kunst machen zu können. Die Option, das zusammen mit Freunden oder auch ganz allein machen zu können, finde ich auch heute noch klasse.
Wie kann man sich als Laie Ihre Arbeitsweise vorstellen, wie gehen Sie an ein Projekt heran?
Zu Beginn war natürlich erstmal viel Trial & Error mit dabei, doch mit der Zeit bringt einen das gesammelte Wissen zu einem wirklich effizientem Ablauf. Zuerst fällt bei mir meist die grundsätzliche Entscheidung über Indoor oder Outdoor. Für Indoor-Aufnahmen habe ich ein Studio, das auch tagsüber komplett abdunkelbar ist. Dort habe ich ein Sammelsurium an Lightpainting Tools, das viele Optionen bietet: von Acryl-Blades bis zu Fiberglas-Pinseln, selbstgebauten Motoren, Adaptern und Tools, über Leuchtschwerter bis hin zu einem modifizierten Penplotter. Wenn ich draußen fotografiere, suche ich mir die passenden Leuchtmittel vorher raus, so dass dann auch alles in meinen Fotorucksack passt.
Manchmal ist es eine Location, die mich einfach inspiriert. Es kann aber auch ein Bild sein, das ich im Kopf habe oder ganz banal ein neues Tool, mit dem ich mich zuerst in einer experimentellen Studio-Serie anfreunde. Beim Lightpainting gilt die Maxime »Weniger ist mehr«. Das Bild braucht Raum zum atmen, gerade draussen wird natürlich auch die Umgebung ein Teil der Komposition und zu viel Licht führt meistens schnell zum Overkill. Ich nenne meine Arbeitsweise gerne »Tai-Chi im Dunkeln«, flüssige Bewegungen und minimalistisch eingesetzte Lichtquellen unter gezielter Führung sind das A und O. Das setzt voraus, das man sein Equipment in und auswendig kennt, die genauen Bewegungsabläufe im Kopf hat und weiß, was funktioniert, damit das Bild zum Erfolg wird.
Auch was andere so machen, kann interessant sein, zum Beispiel schaue ich gerne Lightpainting-Technik-Tutorials an, um meine Ideen noch besser umsetzen zu können.
Mit welchen Hilfsmitteln, mit welcher Technik arbeiten Sie?
Oft sind die einfachsten Leuchtmittel Garant für die besten Ergebnisse. Generell arbeite ich mit einer Canon 5D Mk IV und verschiedenen Objektiven (von Macro über Fisheye, 35mm, 50mm bis hin zum Tele ist alles dabei) auf Stativ mit Fernauslöser. Die Kamera ist dabei meistens im Bulp Mode, bei ISO 100 und die Blende hängt vom Umgebungslicht ab. D.h. ich aktiviere die Aufnahme einmal, lege los und deaktiviere sie erst wieder, wenn ich mit allem fertig bin. Das kann 5 Sekunden bis über 30 Minuten in Anspruch nehmen.
Wenn man so richtig eintaucht in die Materie, ist es auch eine Art Kreativ-Sport. Welche Technik, welcher Spot, welche Intention, welches Ziel will ich umsetzen? Wo muss ich wie beleuchten oder schwarz lassen, welche Reihenfolge bewirkt was? Es geht dabei viel um Vorausdenken – und das kombiniert mit kreativer Intuition mach wirklich Spaß.
Was ist bei Ihren Bildern analog, was digital?
Heute entstehen so gut wie 99% aller Lightpaintings digital, da schon die Wahl der Kamera das rein Analoge meistens ausschließt. Die Kombination von digitaler Technik und analoger Ausführung ist ergo ein transdisziplinärer Prozess, der beim Lightpainting stattfindet. Die eigentliche Königsdisziplin (völlig losgelöst vom Inhaltlichen/vom Motiv) heißt dabei SOOC (= Straight out of Camera), also das Schaffen einer realen Inszenierung aus einer imaginären Vision ohne Computerhilfe und Nachbearbeitung.
Da ich alles sowohl in Jpg als auch in RAW fotografiere, kommt bei mir der Computer bei der Nachbearbeitung der RAW Bilder dann schon auch zum Einsatz, da dort noch an der Bildqualität geschraubt werden kann, was ich sehr zu schätzen weiß. Retusche findet selten statt, es geht mir mehr um Farbbalance und die Kontraste oder auch um den richtigen Ausschnitt.
Sie haben sehr viel Erfahrung, aber kann man bei so einer Arbeitsweise wirklich vorhersagen, wie die Resultate sein werden?
Der Zufall spielt natürlich immer eine Rolle, aber nach fast 20 Jahren Arbeit mit Lightpainting-Techniken kann ich schon mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, wie das Resultat aussehen wird und auch wie es umsetzbar, beziehungsweise entstanden ist.
Bei Workshops mache ich zum Beispiel zum Beginn des Seminars einen theoretischen Teil, bei dem ich Bilder aus der Geschichte der Lightpainting-Fotografie zeige und dabei erkläre, wie das jeweilige Bild zustande gekommen ist. Danach sind die Teilnehmer aufgefordert, eigene Ideen zu entwickeln und selbst online zu recherchieren und damit eigene Ideen zu entwickeln. Oft taucht dabei die Frage auf: Wie wurde das Bild umgesetzt? An dem Punkt trennt sich dann die Spreu vom Weizen, denn bei der Analyse von Lightpainting-Bildern braucht man einfach ein gewisses Maß an Erfahrung, um die Einzelteile zu erkennen und das Bild dekonstruieren zu können. Und ich finde es toll zu sehen, wie unterschiedlich »Neulinge« daraus eigene kreative Ansätze entwickeln und zu wirklich schönen Ergebnissen kommen.
Mit ein wenig Beratung und Assistenz kommen die meisten Teilnehmer:innen erstaunlich schnell zu brauchbaren Ergebnissen, für die ich früher oft lange experimentieren musste. Sowas hätte ich früher gerne selber gehabt – daher macht es mir auch Spaß das Wissen weiterzugeben.
Warum entscheiden sich Kunden wie Sony oder Carhartt für Lightpainting und lassen nicht einfach ein paar Grafiken erstellen?
Mit einem Foto kann ich eine Situation, eine Momentaufnahme einfrieren und sozusagen für die Nachwelt konservieren. Dabei spielt beim Lightpainting gerade die Dynamik, die Motorik, die räumliche Tiefe und auch die Reflektion eine tragende Rolle.
Aber auch der Zufall, denn aus einer Serie von 20-30 Bildern sind es hinterher vielleicht 10 Bilder, die ich favorisiere und das lässt einem dann mehr Spielraum bei der Entscheidung und Auswahl des Motivs.
Bei einer Grafik verhält es sich da für mich etwas anders, da habe ich einen Kunden, eine Agentur und die haben ein gewünschtes Bild vor Augen, das möglichst präzise umgesetzt werden soll, wodurch das spielerisch-kreative Element schnell verloren gehen kann. Grafik kann ein Foto aber auch bereichern oder erweitern. Beim Lightpainting habe ich die Möglichkeit, Grafik-Elemente live im Bild zu inszenieren, sei es typografisch, abstrakt oder experimentell und folge dabei mehr meiner Intuition, als wenn ich vor dem Rechner sitze und Pixel schubse. Für mich ist das einfach eine andere, freiere Form von Grafik.
Was fasziniert und überrascht Sie nach all der Zeit noch immer am Lightpainting?
Nach so vielen Jahren ist es einfach immer noch super, auf Neues zu stoßen, das mich fasziniert und motiviert. Dabei geht es mir um das Aufspüren von crossmedialen Techniken, wie zum Beispiel dem Einsatz eines Kuka Industrieroboters in Zusammenarbeit mit dem Robotiklabor der Kunstuni Linz oder auch im kleineren Rahmen, wie bei meinem umfunktionierten Penplotter, der eigentlich zum Nachzeichnen von SVG Grafiken gemacht ist. Hier kann ich durch mein DIY Tool – einen drucksensitiven Fiberglas-Led Stift – von einer 3D Grafik einen Vektor-Plott erstellen und in dem Druck-Prozess eine Langzeitbelichtung von unterhalb der Glasplatte machen, um so den Drucker als Lightpainting-Roboter umzunutzen.
Für mich geht es dabei rein um das Erkennen des anderen Blickwinkels, der ungeahnten Perspektive, die mir neue Möglichkeiten erschließt und dadurch die Faszination am Leben hält.
Einen Beitrag zu den faszinierenden Arbeiten von Christopher Noelle finden Sie auch im Grafikmagazin 02.22.