Die Erfindung der Schrift war eine unglaubliche Kulturleistung, Funde aus der Donauregion deuten darauf hin, dass hier bereits 5300 vor Christus erste Schriftzeichen eingesetzt wurden. Ohne Schrift wäre unsere Welt nicht das, was sie heute ist. Doch man muss die Zeichen auch deuten können. Erst der Fund des Steins von Rosetta machte es möglich, die Hieroglyphen zu lesen und auch unsere heutigen Schriftzeichen müssen in ihrer Form verhältnismäßig stabil bleiben, damit man sie zuordnen kann. Robin Kiesel wollte es in seiner Abschlussarbeit genauer wissen und untersuchte, was Buchstaben lesbar macht und ab wann Störungen die Funktion buchstäblich zerstören.
Nach seiner Ausbildung zum Grafikdesigner in Stuttgart begann Robin Kiesel ein weiteres Studium an der KISD in Köln und tauchte hier noch weiter in die Typografie ein. »In meiner Final Thesis habe ich meine typografische Leidenschaft komplett ausgelebt und mich über 170 Seiten hinweg intensiv mit Störungen in der Typografie auseinandergesetzt«, erzählt er. Der Titel seiner Arbeit lautet »STOER – Untersuchungen zu dem bewussten Einsatz von Störungen in der Typografie« und Kiesels Ziel war es, mithilfe generativer Typografie verschiedene gestaltungsrelevante Dinge auszuloten. »Es ging darum«, erklärt der Gestalter, »zu veranschaulichen, wie eine Störung in der Typografie aussehen kann, wann sie eintritt und ab welchem Punkt sie als reines Hindernis wahrgenommen wird. Ich habe gezeigt, wie eine bewusst eingesetzte Störung sich von einer unbewusst entstandenen unterscheidet und wo die Grenzen der Planbarkeit von Störungen liegen. Um das zu veranschaulichen, habe ich diverse Untersuchungsreihen durchgeführt, wie zum Beispiel die zufällige Kombination verschiedener Schriftschnitte in einem Raster, die Unterteilung von Buchstaben in ihre charakteristischen Segmente und die Auswirkung deren Verschiebung sowie die Erstellung einer variablen monotype Pixelschrift, auf die ich durch Code Einfluss genommen habe.«
Damit seine Untersuchungen auch nachvollziehbar werden, hat Kiesel einen Editor geschaffen, mit dem User selbst Schriften verfremden können und so ein Gefühl dafür entwickeln, wann ein Buchstabe noch als solcher zu erkennen ist. Wann sehe ich noch P und ab welchem Moment rutscht die Rundung so tief, dass ein D daraus wird? Durch das Experimentieren ergeben sich so Erkenntnisse, die man in der Schriftgestaltung nutzen kann. Zufällige Verfremdungen können Gestalter:innen auf neue Ideen für Formen bringen und inspirieren, doch die Beschäftigung mit dem Editor regt auch dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, warum man Buchstaben erkennt und welche Elemente ganz konkret für dieses Erkennen sorgen. »Diese neuen Formen«, sagt Kiesel, »können der Ausgangspunkt für Gedanken sein, wie Buchstaben auf unkonventionelle Art noch gestaltet werden können. STOER ist auf jeden Fall eine sehr reizvolle Einladung, spielerisch über Form und Inhalt nachzudenken.
Falls Sie mehr über Robin Kiesels Arbeit erfahren wollen, besuchen Sie doch gerne seine Website. In unserem Themenbereich Typografie finden Sie außerdem noch mehr spannende Beiträge aus der Welt der Schriften.