Bei großen Bauprojekten gehört das wohl einfach dazu – sie kosten immer mehr als geplant und sie werden selten termingerecht fertiggestellt. Der Flughafen in Berlin setzte allerdings neue Maßstäbe: Zu den wenigen Dingen, die im Frühjahr 2006 pünktlich fertig wurden, gehörte das Leitsystem (wir berichteten), ansonsten wurde verschoben, neu geplant und wieder verschoben. Am 31. Oktober 2020 öffnete der Flughafen Berlin Brandenburg nun aber doch seine Tore, viel größer und komplexer als ursprünglich geplant. Auch das Leitsystem musste an die neuen Anforderungen angepasst werden, verantwortlich zeichnete die Agentur Moniteurs, die auch das Erscheinungsbild erstellte. Christine Moosmann sprach mit Sibylle Schlaich und Heike Nehl über das anspruchsvolle Projekt.
Was hat sich am ursprünglich geplanten Leitsystem für den BER bis zur jetzigen Eröffnung noch verändert?
2006 hatten wir das Leitsystem entworfen und bis 2012 die Ausführungsplanung erstellt und das Leitsystem implementiert. Ursprünglich war der Flughafen Berlin Brandenburg als ein großer Terminal geplant, der über Piers oder Satelliten erweitert werden sollte. Vor Corona stiegen die Fahrgastzahlen aber stetig und um die notwendigen Kapazitäten auch in Zukunft vorhalten zu können, wurde 2015 entschieden den von der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) betriebenen Flughafen Berlin-Schönefeld (SXF) in den neuen Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER) zu integrieren. Er wurde zur Eröffnung in Terminal 5 umbenannt.
Desweiteren ließ die FBB den Terminal 2 auf dem BER-Campus errichten. Zur Eröffnung am 31. Oktober erfolgt die Wegweisung für die Passagiere zu den Terminals 1, 2 und 5. Wäre der Flughafen 2012 eröffnet worden hätten wir nur innerhalb des Terminal 1 den Weg gewiesen. Die Ziffern 3 und 4 wurden noch nicht genutzt, weil der Masterplan weitere Terminals vorsieht, die so benannt werden sollen. Die Herausforderung war, dass wir mit der bestehenden Hardware zurechtkommen mussten. Wir haben keine zusätzlichen Schilder geplant, sondern Inhalte neu strukturiert und umgestaltet.
Seit 2016 wurde der Flughafen Schönefeld saniert, sowohl die vier bestehenden Gebäudeteile A, B, C, und D, als auch das gesamte Außengelände mit dem Parkhaus. Außerdem wurde der Flughafen um einen Neubau D2 erweitert.
Eine Sanierungsmaßnahme war die Einführung des neuen Leitsystems am SXF. Der gesamte Flughafen wurde Gebäude für Gebäude mit dem Leitsystem des neuen Flughafen Berlin Brandenburg ausgestattet. Unsere Aufgabe war, die Hardware entsprechend dem Gebäudeensemble, qualitativ weniger aufwendig und günstiger zu gestalten. Die Herausforderung war, dass das Leitsystem trotzdem eine Familie bleibt mit dem hochwertigen System des neuen BER und es eine gestalterische Klammer für den gesamten BER-Campus bildet. Für uns war das die Probe aufs Exempel, die sehr gut funktioniert. Diese beiden Themen sind Beispiele für umfangreiche inhaltliche Erweiterungen des Leitsystems seit 2012.
Ein weniger aufwändiges Beispiel ist zum Beispiel Easy Pass, ein teilautomatisiertes Grenzkontrollsystem, das seit 2014 sukzessive an Flughäfen der Europäischen Union eingeführt wird. Ins Leitsystem haben wir Easy Pass als Zielpunkt aber auch die Kennzeichnung der Durchgangskontrolle integriert.
Jetzt kurz vor der Eröffnung haben wir alle Pläne nachgeführt. Die Übersichtspläne im Gebäude für die Passagiere aber auch die Pläne des Außengeländes für Fußgänger und Fahrradfahrer. Auch hier haben wir die zusätzlichen Terminalgebäude eingezeichnet. Terminal 1 und Terminal 2 sind miteinander verbunden. Je nachdem, ob Passagiere, die umsteigen möchten, mit Handgepäck oder mit Gepäck, das aufgegeben werden muss, unterwegs sind, gehen sie andere Wege. Bushaltestellen haben sich verändert und mit Ihnen natürlich die Wegeführung im Außengelände.
An Flughäfen sind täglich Tausende von Menschen in Bewegung und als Passagier merkt man schnell, ob das Leitsystem funktioniert oder nicht. Aber wie geht man als Gestalter an solch ein Projekt heran, wie findet man heraus, wie man die Menschen sinnvoll führen kann?
Es war ideal, dass wir 2006 das Leitsystem zeitgleich mit dem durch die Architektur definierten Passagierfluss entwickeln konnten und es bei der Gebäudeplanung mitgedacht wurde. Natürlich ist aber nicht nur der stetige Austausch mit den Architekten wichtig, sondern vor allem der Austausch mit zuständigen Personen am Flughafen. Diese sind die Fachleute, die meist auch schon jahrelange Erfahrung mit dem Verhalten von Passagieren haben, die sich selbst am Flughafen bewegen und uns Feedback geben.
In einem ersten Schritt haben wir die Entscheidungspunkte für bestimmte Nutzerszenarien identifiziert. Wir haben Zielinformationen ausgewählt und Positionierungen mit geeigneten Sichtachsen, die weithin eingesehen und gelesen werden können.
Sehr wichtig war aber auch der kurz vor der Eröffnung stattfindende sogenannte Orat (Operational Readiness, Activation and Transition). An Probebetriebstagen wurden die Abläufe am Flughafen von Komparsen getestet. Deren Feedback wurde vom Flughafen ausgewertet. Für diese konkret identifizierten Fragen oder Probleme der Komparsen erarbeiteten wir zusammen mit dem Flughafen Lösungen. Eine Handvoll Positionen haben wir aufgrund des Orats noch erweitert, es waren zum Glück weniger als erwartet.
Wir selbst konnten über die Jahre mit anderen Flughafenprojekten, zum Beispiel München, Hannover oder Zürich auch sehr viel Erfahrung sammeln. Wichtig ist aber auch sich immer umzusehen, wie andere Flughäfen neue Themen angehen. Die Prozesse entwickeln sich besonders aufgrund der Digitalisierung ständig weiter. Flughäfen stehen im Austausch untereinander und so hilft es, die Augen immer offen zu halten und Synergien zu nutzen.
Sie wurden schon früh von den Architekten von Gerkan Marg und Partner in die Gestaltung mit einbezogen. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?
Durch die von Beginn an enge Zusammenarbeit mit den Architekten, hatten wir die Möglichkeit Teile des Leitsystems in die Architektur zu integrieren. Der Architektur des BER liegt ein für den Terminal 1 entwickeltes Architekturraster zugrunde. In diesem Raster, in einem System von Abständen, Längen, Maßen und Flächen, findet sich die Gestaltung des Wegeleitsystems wieder. Die Größen der Signage-Elemente leiten sich aus diesem architektonischen Raster ab. Paneele folgen dem Wandraster und Deckenschilder dem Deckenspiegel. Die Elemente sind modular aufgebaut, mit der Architektur entwickelt und nicht auf diese aufgebaut oder davorgesetzt.
Konstruktive Elemente des Leit- und Orientierungssystems sind im gleichen Farbton beschichtet wie die konstruktiven Elemente in der Architektur: in einem Schwarzgrau. Die Grafikflächen kontrastieren in Signage-Rot als leuchtende Körper. Material, Farbe und Struktur des Leit- und Orientierungssystems sprechen also eine gemeinsame Sprache mit der Architektur.
Sie sagen, Ziele sollen nicht gesucht, sie wollen gefunden sein. Was meinen Sie damit und wie schlägt sich dieser Ansatz in Ihrem Design nieder?
Wir möchten, dass die Passagiere möglichst stressfrei und intuitiv zu ihren Gates kommen. Unser Ansatz ist eine reduzierte Gestaltung, wenige Farben und eine ruhige, einheitliche Formensprache in Schrift und Piktogrammen. Das Architekturraster definiert auch die Hängehöhen und Horizonte, die bereichs- und typenübergreifend eingehalten werden. Die Elemente des Leit- und Orientierungssystems sind für die Passagiere auf immer derselben Höhe schnell auffindbar.
Nicht nur die Gestaltung ist ausschlaggebend, sehr wichtig sind die Inhalte, ist eine lückenlose Informationskette und einheitliche Benennungen. Sämtliche Ziele im Flughafen sind benannt nach einer logischen, sinnvollen Nomenklatur. Festgelegte Begriffe werden konsequent eingesetzt, nicht nur im Gebäude, auch schon bei der Anfahrt und auf dem gesamten Campus – dies schafft gute Orientierung. Eine lückenlose, konsistente Informationskette, mit einheitlich angewandten Begriffen, ermöglicht den Passagieren ein schrittweises, leichtes Auffinden der Ziele
Andere Flughäfen setzen oft auf grelle Farben, um für Unterscheidbarkeit und Aufmerksamkeit zu sorgen. Beim BER wirkt alles sehr stylisch und ruhig, wie schaffen Sie es trotz der Ton-in-Ton-Gestaltung die nötige Signalwirkung zu entfalten?
Sobald man den BER-Campus betritt, taucht man ein in die Welt des Flughafens Berlin Brandenburg. Das Rot, die Piktogramme, die Schrift und das Produktdesign lassen die Identität des Flughafens Berlin Brandenburgs in allen Terminalgebäuden und im Außengelände sichtbar werden.
Der Flughafen Berlin Brandenburg wird mit seinen Anklängen an die regionale Bautradition klar in der deutschen Hauptstadtregion verortet. Die Farbe Rot ist die Farbe Berlins und Brandenburgs. Sie wird schnell erkannt, auch aus großer Entfernung, sie hat Signalcharakter. Die Fluginformationen stehen auf diesem warmen, repräsentativen Signage-Rot, die Sekundärinformationen auf dem dunklen Signage-Grau, das auch in der Architektur angewandt wird.
Die Leitidee für das Informationsdesign des Leit- und Orientierungssystems ist die Übersetzung der klaren geometrischen Strukturen der Architektur in Linien. Die typischen Kiefernwälder in Berlin und Brandenburg bilden mit ihren geraden Stämmen eine lineare Struktur, die man in der Berliner Architekturgeschichte, zum Beispiel bei Karl-Friedrich Schinkels Säulenhalle im Alten Museum oder im strengen Architekturraster von Mies van der Rohes Nationalgalerie, wiederfindet. Sie waren Inspiration für die Architekten des Flughafens und finden sich unter anderem auf der Vorfahrt mit dem von Säulen gestützten Vordach wieder. Mit Linierung und Linienmischung von Rot, Grau und Weiß können im Leitsystem unterschiedliche Tonwerte erzeugt werden und damit Informationen differenziert dargestellt werden.
Die Informationselemente sind alle hinterleuchtet. Das Signage-Rot, in mehreren Schichten gedruckt, glimmt angenehm, ohne grell zu leuchten. Die weißen Informationselemente leuchten hell und sind mit optimalem Kontrastwert sehr gut lesbar. Im Leitsystem sind Identität und Funktion vereint. Es bildet die gestalterische und inhaltliche Klammer für den gesamten BER-Campus.
Lesbarkeit ist natürlich ein zentrales Thema, was hat es mit der eigens entwickelten Schrift BER Signage auf sich?
Schon bei den ersten Planungen für das Leit- und Orientierungssystem wurde klar, dass der Flughafen Berlin Brandenburg eine eigene Hausschrift haben sollte. Lesbarkeit und schnelle Erfassbarkeit hatten eine hohe Priorität, aber auch die Wiedererkennbarkeit, gestalterische Bezüge zur Architektur und zur Stadt Berlin sind in den Schriftenentwurf mit hineingeflossen. Um dies zu verdeutlichen habe wir einige Zeit mit einem Testfont gearbeitet, der die Vorlage war, für die heute genutzte Schrift, BER Signage. Diese wurde exklusiv für den Flughafen Berlin Brandenburg von den Schriftgestaltern Alexander Branczyk und Georg Seiffert entwickelt. Häufig geht eine Schrift von der Unternehmenskommunikation aus. Die BER Signage geht vom Leitsystem aus, ist für die optimale Lesbarkeit auf Schildern entworfen und für das Corporate Design und Displays weiterentwickelt. Sie besitzt eine Sichtbarkeit auf große Entfernung und verfügt über eine große Durchsetzbarkeit gegen andere Schriften im Umfeld.
Was war die härteste Nuss, die Sie als Designer zu knacken hatten und was macht Sie jetzt nach Abschluss des Projektes am meisten stolz?
Es gab mehrere harte Nüsse. Eine ist die oben beschriebene Integration von zwei weiteren Terminals in die Wegeführung ohne zusätzliche Schilder oder größere Schildflächen. Wir waren sehr glücklich mit der reduzierten Gestaltung und nun sollten wir, bevor der Flughafen eröffnet hatte, diese umgestalten. Heute sind wir wiederrum sehr zufrieden mit der Lösung der Terminalkodierung auf weißen Kreisen. Diese sind leicht zu erkennen, heben sich eindeutig vom Rest der Gestaltung ab und haben neuen Schwung gebracht.
Und auch das zweite in der ersten Frage beantwortete Thema hat uns stolz gemacht, dass sich das Leitsystem so gut auf die völlig anderen Gebäude des Flughafen Schönefeld übertragen ließ. Nicht nur dies, das Leitsystem hat diese Gebäude aufgewertet!